38 Leben als Problemsphäreständig flutenden Fülle von Leben und Welten eine strenge Wissenschaftetablieren wollen? Was soll Ursprungsgebiet des Lebensda besagen und wie soll es in strengwissenschaftlicher Forschungaufgebrochen werden? Wie soll es etwas sein, das nur soüberhaupt zugänglich wird?§ 8. Erneuter Anlauf" der Reliefcharakter des Lebens an sichDie Betrachtung auf diesen Seiten (33-38) ist nicht sauber undin den einzelnen Motiven gesondert und geklärt. Es ist dahervom Folgenden aus zurückzusehen, das Vorstehende noch einmalneu darzustellen - naiv erzählend.Wir sehen das Leben an sich in den mannigfaltigsten Gestaltenseiner Tendenzen. Wir trafen eine Reihe von Überdekkungs-und Verschlingungs- und Durchdringungsvariationender aktuellen oder habituellen Lebensrichtungen und ihrer jeweiligenTypen des Vollzugs. Die Charakterisierung als >>UnübersehbareMannigfaltigkeit« ist ganz formal, schon gesehenvon der Tendenz einer ebenso konstruktiven Auffassung der»Begriffsbildung« und theoretischen Bearbeitung der ganzenWirklichkeit durch die Wissenschaft. Zudem wird durch die besagteformale Charakterisierung jede Ansatzmöglichkeit für einechtes Verstehen der Struktur des Umwelterlebens verbaut, jasogar die falsche Meinung begünstigt, als läge das Charakteristischeim viel artigen Wechsel der sich aufdrängenden Inhalteals solcher. Es ist also nicht so sehr die inhaltliche Fülle und diein ihr als solcher möglichen Wechselfälle neuer sachlicher,sachlich anders gruppierter Lebensgestalten als der Variationsreichtumdes Richtungsstils.In diesem allgemeinsten Aspekt beachten wir etwas, was ichden selbst auf- und ab schwankenden Reliefcharakter des vollenLebens an sich nenne. Gewisse Herausgehobenheiten, die innerhalbdes Lebens verbleiben, in seinem Verlauf funktionalmitgehen.§ 8. Der Reliefcharakter des Lebens 39Als solche reliefartigen Momente im Aspekt des Lebens ansich finden wir:1. Die Umgebungs-, Umkreis-, Umweltcharaktere, diesich, wenn auch meist nicht und gerade nicht ausdrücklich, ineiner gewissen Abgehobenheit geben, denen man im Leben begegnetals in einer - paradox zu reden - zurückgesetzten, nichtweiter in Acht genommenen Ausgezeichnetheit. Dahin gehörendie nächste Umwelt, die nächste Mitwelt, die nächste Selbstwelt.Sie machen aus ein gewisses, in seinem Ausmaß labilesBesitztum, einen Fonds von Verständlichkeiten und unmittelbarenZugänglichkeiten.2. Das Leben in dieser Umwelt, das in ihr sein, die umweltlicheExistenz, diese labile Zuständlichkeit bestimmt sichaus einem merkwürdigen Sichdurchdringen der Um-, Mit- undSelbstwelt, nicht aus ihrer bloßen Summe, so zwar, daß die Bezügedes Sichdurchdringens schlechthin nichttheoretischer,emotionaler Art sind. Ich bin nicht der Zuschauer und am allerwenigstengar der theoretisierend Wissende meiner selbst undmeines Lebens in der Welt.3. Ferner treffen wir an das Moment der Stabilisierung,nicht im Sinne der Stillstellung der Lebenstendenzen, sondernihres Festgespanntwerdens in mehr oder minder scharfer Weisein sich durchhaltende eindeutige Tendenzen.Die bisher beachteten reliefartigen Ausformungen des Lebensan sich haben das Eigentümliche, daß diese Ausformungenim Fließen des Ablaufs nie recht zu ausdrücklichen Abgehobenheitenwerden - eine neutrale Art des Mitgehens undMitgenommenwerdens -, sondern dem Leben seine neutrale,graue, unauffällige Färbung geben und gerade die »Alltäglichkeit«bestimmen.4. Diesen meist unauffällig mitschwimmenden Abgehobenheitengegenüber gibt es solche, die eine gewisse Zähigkeit,Vehemenz, ein Hintreiben zur Tyrannis und radikalen Ausformungzeigen: wissenschaftliches, künstlerisches, religiöses,politisch-wirtschaftliches Leben. Sie drängen nach Reinheit
40 Leben als Problemsphäreihrer Ausprägung und nach Abstoßung des ihnen Fremdweltlichen,aber zugleich zu einer Ausdehnung ihres Herrschaftsbereichesüber das ganze Leben - das in aktuellea Erfahrungenaber zugleich in theoretisierend weltanschaulichen Betrachtungen.ZWEITES KAPITELDas faktische Leben als Mannigfaltigkeit sichineinanderschiebender Bekundungsschichten§ 9. Zum Phänomen der SelbstgenügsamkeitMan spricht von religiösen, künstlerischen, naturwissenschaftlichenZeitaltern. Die Ausformungstendenz des Lebens selbststeigert sich in besonderer Weise und zeigt besondere Typen desÜbergreifens über alle Lebensgebiete in dem, was wir heute>Weltanschauung< nennen.Diese Reliefcharaktere des Lebens sind dann, aus seinemTendenzcharakter her gesehen, bestimmte abgehobene Weisender Erfüllung der Tendenz, Formen der typischen Verläufe desSich-ins-Ziel-bringens der Lebenstendenzen.Die Erfüllung ist nie endgültig. Der Fraglichkeitscharakterallen Lebens, der mit seinem Tendenzcharakter im Innerstenverwachsen ist [phänomenologisches Grundproblem], löst immerneue Zielansetzungen, davon in Wirkung gebrachte MotivundMotivationsmannigfaltigkeiten aus.Das prinzipielle Wie der Motivierung neuer Tendenzen unddas prinzipielle Wie ihrer Verlaufs- und Erfüllungsformen istdas, was als »Selbstgenügsamkeit« des Lebens an sich terminologischumgrenzt werden soll. Das Phänomen der »Selbstgenügsamkeit«selbst kann innerhalb des Lebens an sich, imVerbleiben innerhalb seiner, nicht gesehen werden. Es mußaber jetzt schon auf es vorgedeutet werden.Die Motivierung der Tendenzen und neuer Tendenzen kommtimmer aus dem gelebten Leben selbst, und die Tendenzen erfüllensich wiederum innerhalb des Lebens in und durch seine typ i -sehen Verlaufsformen. Nicht, welche bestimmte Religiosität und