!r! ,58 Bekundungsschichten des Lebenssonderen oder für die Geschichte im weiteren Sinne. Sie unterstehendabei aber als Selbstbiographie gerade einer ganz eigentümlichen»Kritik«.In der biographischen Geschichtsforschung dagegen soll eineSelbstwelt zum wissenschaftlich objektivenAusdmck gebracht werden,allerdings in der spezifischen Ausdrucksform der histori -schen Wissenschaft: Heiligengeschichte (Hagiographie), Künstlergeschichte(Vasari). Die moderne biographische Forschung:Leben Jesu, Leben Luthers, Leben Goethes, Schleiermachers,Napoleons. Diese biographische Forschung hat selbst schon wiederihre Geschichte: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, derLuther-Forschung usf., woraus sich ersehen läßt, daß auch dieobjektiv wissenschaftliche Darstellung von Selbstwelten immerjeweils eine Bekundungsform unter anderen darstellt. 3Auf die Kunst als eine Ausdrucksform der Selbstwelt und alsOrgan des Lebensverständnisses sei nur hingewiesen, desgleichenauf den merkwürdigen Zusammenhang von Lebenserfahrungund Kunst des Verstehens und der Darstellung in der wissenschaftlichenGeschichtsschreibung, der entfernt (noch) nichtaufgehellt ist. 4Zunächst haben wir lediglich die im faktischen Leben antreffbareTatsache festgestellt: einmal, daß das faktische Lebenin einem Selbstleben und in einer Selbstwelt wie in der UmundMitwelt in einer ausgeprägten, abgehobenen Weise sichvollziehen und kundgeben kann und daß ein solches Selbstlebenund solche Selbstwelten einmal autobiographisch unddann auch eigentliches Objekt historisch wissenschaftlichenVerstehens und entsprechender Darstellung werden können.In den großen Konfessionen einer Selbstwelt ist die Ausformungund Gestaltung der inneren Selbsterfahrung des eigen-3 Vgl. Anhang BIl., Ergänzung 3, S. 205.4 Vgl. Dilthey, Beiträge zum Studium der Individualität. In: Sitzungsberichteder Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften Berlin Jg. 1896/1. Halbbd ..S.295-335.§ 14. Zugespitztheit auf die Selbstwelt 59sten Lebens selbstAusdruck dieses Lebens, nicht so, als stünde derAusdruck als fremdes Behältnis außerhalb dieses Lebens underwartete eine Erfüllung (die durch jedes andere gleicherweisemöglich wäre). In solchen Konfessionen kommt zum Ausdruckin eins mit der Geschichte des Selbst seine immer und lebendigdamit einige Stellung zu seiner jeweilig angestammten Lebenswelt,so zwar, daß der Charakter dieser Lebenswelt aus der besonderenVerfassung und Strömungsrichtung des betreffendenindividuellen Selbstlebens sich ergibt. Selbstwelt und Lebenswelt- in der Lebenswelt der Widerhall der Rhythmik jener. Inder Darstellung des Selbstlebens bekundet sich zugleich die Lebensweltund deren spezifische, aus dem Selbst herkommendeund von da vorgezeichnete Rhythmik und umgekehrt.Denselben lebendigen Zusammenhang, daß sich im Selbstlebeneine Lebenswelt und ein eigenstes Weltbild erbaut, einebestimmte, vielleicht einzigartige Typik des Daseins - Lebenstotalität-, diesen Zusammenhang sucht auch alle ernsthaftebiographische Forschung höherer Stufe verstehend heraus- unddarzustellen.§ 14. Die Zugespitztheit des faktischen Lebens auf die Selbstwelt 1a) Die funktionale Betontheit der SelbstweltDieser historisch verstehenden Darstellungsart eines Selbstle~.ens in der biographischen Forschung liegt zum Grunde dieUberzeugung, daß das faktische Leben und seine Welt irgendwieim Selbstleben zentrieren kann, so sehr die Selbstwelt sichzunächst als labile Zuständlichkeit gibt. Es zeigt sich, daß dasfaktische Leben in einer merkwürdigen Zugespitztheit auf dieSelbstwelt gelebt, erfahren und dementsprechend auch historischverstanden werden kann.! Vgl. Anhang AIlI., Beilage 3, S. 171.
1160 Bekundungsschichten des LebensDas ist selbst eine Weise der Bekundung des faktischen Lebensauch in der Umwelt schon antreffbar, so daß eine labileZust~ndlichkeit sich besonders ausprägt und verfestigt, worausdann ein unmittelbar erfahrbarer , von der Selbstwelt her betonterCharakter der Um- und Mitwelt sich ergibt. (Und all das spieltsich ab meist in der für die Umwelt typischen Unabgehobenheit,aber es ist faktisch da und wirkt sich aus.) Diese Betontheit derSelbstwelt ist nicht etwa eine solche lediglich der Betrachtung,der besonderen Beachtung, sondern des aktuellen Lebens, derfaktischen Einstellung in besondere Tendenzen und des besondersbetonten aktuellen Vollzugs ihrer und Verlaufs.Diese Betontheit der Selbstwelt, die Indizierung der Tendenzenund Weltcharaktere von ihr aus, braucht aber nicht abgehobenzu sein, sondern sie ist und sogar meist unabgehoben lebendig,so sehr, daß sich das Leben so geben kann, als ob alleSelbstwelt von der Umwelt bestimmt und gelenkt sei. Die Zugespitztheitauf die Selbstwelt ist immer da im faktischen Leben,so zwar, daß gerade hieraus die Charaktere verständlicher werdendie wir bisher im faktischen Leben angetroffen haben:Selbstgenügsamkeit des Lebens an sich und sein Bekundungscharakter(desgleichen die besonderen Phänomengruppen, aufdie wir schon aufmerksam wurden).Es kommt nun darauf an, daß wir vor-läufig dem lebendigenZuge der Zusammenhänge zwischen diesen Charakteren un~zwar im besonderen der »Zugespitztheit auf die Selbstwelt« mItdem Charakter der Selbstgenügsamkeit und dem Charakter derBekundung verstehenderweise nachgehen. Zu diesem Endesetzten wir die Betrachtung wieder da ein, wo uns das Phänomender Zugespitztheit, der funktionalen Betontheit der Selbstwelt,gleichsam >in die Augen sprang