Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag
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Seite 140 <strong>Bayerischer</strong> <strong>Landtag</strong> • <strong>16</strong>. Wahlperiode Drucksache <strong>16</strong>/<strong>17740</strong><br />
Vermutungen auf Rechtsextremismus als Tatmotiv gab es<br />
aus der Öffentlichkeit (durch Demonstrationen u. ä.) immer<br />
wieder, dennoch wurde weiterhin nicht in diese Richtung ermittelt.<br />
Dies ist insbesondere deshalb unverständlich, weil<br />
die Zeugen Störzer und Hänsler angegeben haben, dass sich<br />
nach dem Mordfall Yasar ein rechter Hintergrund aufgedrängt<br />
habe. 830<br />
Vermutungen seitens der Angehörigen zu einem möglichen<br />
rechtsextremistischen Hintergrund sind nicht nachgegangen<br />
worden. Beispielsweise gab der Bruder des Mordopfers<br />
Boulgarides, Herr Gavril Voulgaridis, in seiner Vernehmung<br />
am 18.01.2006 auf die Frage nach einem Verdacht oder einer<br />
Vermutung zum Tatmotiv an, dass er der Meinung sei, dass<br />
da ein „ausgetickter Typ“ unterwegs sei, der „Ausländer<br />
umbringe“, aus welchen Gründen auch immer. 831 Der vernehmende<br />
Polizeibeamte und Zeuge Blumenröther fragte<br />
diesbezüglich jedoch mit keinem Wort nach. Seine Fragen<br />
gingen weiterhin ausschließlich Richtung Organisierter Kriminalität.<br />
Aus der Angabe des Bruders des Opfers wurde<br />
nicht einmal eine Spur generiert, obwohl sonst jeder noch<br />
so kleine und merkwürdige Hinweis zu einer Spur und damit<br />
weiteren Ermittlungen führte. 832 Daraus wird deutlich, wie<br />
sehr die einzelnen Beamten auf allen Ebenen trotz der jahrelangen<br />
erfolglosen Ermittlungen auf einen Hintergrund der<br />
Taten der organisierten Kriminalität fixiert waren.<br />
Die Zeugin Keller hat dazu einen Satz gesagt, der dies verdeutlicht.<br />
Dieser lautet: Aus meinen Befragungen hatte ich<br />
den Eindruck: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“ 833<br />
Die Ermittlungsbehörden haben das Aggressionspotenzial<br />
und die strategischen Debatten von Rechtsextremisten entweder<br />
nicht gekannt oder falsch eingeschätzt. Immer wieder<br />
fiel die Aussage seitens der Polizeibeamten, dass man sich so<br />
etwas nicht habe vorstellen können, weil es keine Bekennerschreiben<br />
gegeben habe. Die Strategie des führerlosen Widerstandes<br />
– die damals in Szene-Kreisen diskutiert wurde<br />
und als Blaupause für die Mordserie bezeichnet werden kann<br />
– war der Polizei nicht bekannt.<br />
Es gab bereits lange vorher rechtsterroristische Aktivitäten<br />
– auch ohne Bekennerschreiben – in Bayern. Rechtsterrorismus<br />
in Bayern war kein völlig neues Phänomen, sondern<br />
bereits früher traurige Realität. Parallelen zur Mordserie<br />
wurden nicht erkannt.<br />
Es wird an dieser Stelle exemplarisch nur an folgende Vorkommnisse<br />
in Bayern erinnert, die es aus heutiger Sicht unverständlich<br />
erscheinen lassen, warum man ein rechtsterroristisches<br />
Motiv nicht in Erwägung gezogen hat:<br />
• Das Oktoberfestattentat am 26.09.1980 war ein rechtsterroristischer<br />
Anschlag in München. Es starben 13 Menschen<br />
bei der Explosion einer Bombe am Haupteingang<br />
830 Störzer, 05.02.2013, S. 28; Hänsler, 05.02.2013, S. 115.<br />
831 Akte 314, Bl. 3858.<br />
832 Blumenröhter, 14.05.2013, S. 8.<br />
833 Keller, 05.06.2013, S. 60.<br />
des Oktoberfests, 211 wurden zum Teil schwer verletzt.<br />
Der Anschlag gilt als der schwerste Terrorakt der deutschen<br />
Nachkriegsgeschichte.<br />
• Am 19.12.1980 wurden Shlomo Levin und seine Lebensgefährtin<br />
Frida Poeschke in Erlangen von einem Mitglied<br />
der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann ermordet.<br />
Die Gruppe wurde am 30.01.1980 durch den Bundesinnenminister<br />
Gerhart Baum als verfassungsfeindlich verboten<br />
und offiziell aufgelöst.<br />
• Am 17.12.1988 kommt es zu einem Brandanschlag in der<br />
oberpfälzischen Stadt Schwandorf. Ein Neonazi setzte<br />
ein Haus – in dem überwiegend türkischstämmigen Menschen<br />
wohnten – in Brand. Bei dem Anschlag kamen vier<br />
Menschen ums Leben.<br />
• Im Jahre 2003, also nach dem 4. Anschlag der Ceska-<br />
Mordserie konnte gerade noch ein Anschlag des rechtsextremen<br />
Terroristen Martin Wiese auf die Grundsteinlegung<br />
der neu eröffneten Münchner Synagoge vereitelt werden.<br />
Bei keinem dieser Anschläge gab es ein Bekennerschreiben.<br />
Fehlende Kenntnisse der neonazistischen Szene traten bei<br />
den Zeugen der Polizei im Laufe des Untersuchungsausschusses<br />
oftmals zutage.<br />
Weder der führerlose Widerstand, Combat 18, und das sog.<br />
Werwolf–Konzept noch die Untersuchungen des Bundesamtes<br />
für Verfassungsschutz zur Gefahr eines bewaffneten<br />
Kampfes deutscher Rechtsextremisten in der Broschüre<br />
„BfV Spezial“ aus dem Jahre 2004 zu den Entwicklungen<br />
von 1997 bis Mitte 2004 waren den ermittelnden Beamten,<br />
die im Untersuchungsausschuss vernommen wurden, bekannt.<br />
Immer wieder wurde der enorme Unterschied im Aufwand<br />
zwischen den Ermittlungen im Bereich Organisierter Kriminalität<br />
und den Ermittlungen in Richtung Ausländerfeindlichkeit<br />
deutlich:<br />
• So wurden in Nürnberg und München ca. 900 türkische<br />
Kleingewerbetreibende persönlich aufgesucht, um zu<br />
Hinweisen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität<br />
zu gelangen 834 .<br />
• Dagegen erfolgten lediglich neun sog. Gefährderansprachen<br />
im Bereich der rechten Spur, der sog. Spur 195<br />
(nähere Ausführungen siehe unten). 835 Zudem konnte<br />
die Polizei bei der Ansprache von Gefährdern aus dem<br />
rechten Bereich aus Sicht des Untersuchungsausschusses<br />
wohl nicht ernsthaft erwarten, Hinweise und Erkenntnisse<br />
zu rechtsextremen Kontaktpersonen zu erhalten.<br />
834 Geier, 20.02.2013, S. 9.<br />
835 Pfister, 21.03.2013, S. 24.