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Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag

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Seite 156 <strong>Bayerischer</strong> <strong>Landtag</strong> • <strong>16</strong>. Wahlperiode Drucksache <strong>16</strong>/<strong>17740</strong><br />

Arbeit der Geheimdienste und des polizeilichen Staatsschutzes,<br />

bestimmt die Förderrichtlinien staatlich geförderter Programme<br />

gegen „Extremismus“ und findet in Schulen und in<br />

der politischen Bildung Verbreitung.<br />

Der Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung<br />

und des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines<br />

Landes, wie der Verfassungsschutz im Grundgesetz definiert<br />

ist, kann und ist nicht ausschließlich den Verfassungsschutzbehörden<br />

überantwortet, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche<br />

und politische Aufgabe. Der Beitrag der Verfassungsschutzbehörden<br />

hierzu beschränkt sich auf die Befugnis, zur<br />

Beobachtung von Bestrebungen gegen die o.g. Schutzgüter<br />

nachrichtendienstliche Mittel einsetzen zu dürfen. Genau<br />

aus dieser Befugnis und dem Fehlen einer effektiven parlamentarischen<br />

Kontrolle, erwachsen aber selbst Gefahren für<br />

die freiheitliche Demokratie.<br />

Besonders deutlich wird dies am System des Einsatzes von<br />

V-Leuten durch den Verfassungsschutz. V-Leute sind die<br />

problematischsten nachrichtendienstlichen Mittel. Nach den<br />

bisherigen Erkenntnissen war der Einsatz von V-Leuten in<br />

der rechtsextremistischen Szene in der Vergangenheit so<br />

desaströs, dass zumindest sehr zweifelhaft ist, ob der durch<br />

den Einsatz von V-Leuten erzielte Nutzen größer ist als<br />

der dadurch verursachte Schaden. Die Tätigkeit der in der<br />

rechtsextremistischen Szene bis hin zum Umfeld des NSU<br />

eingesetzten und bekannt gewordenen V-Leute hat nicht verhindert,<br />

dass die Mitglieder des NSU Morde, Sprengstoffanschläge<br />

und Raubüberfälle begehen konnten.<br />

Das BKA führt derzeit eine Liste mit über 129 Personen,<br />

die im weitesten Sinne zum NSU-Umfeld gezählt werden.<br />

Darunter befinden sich zahlreiche Personen, die als V-Leute<br />

verschiedener Verfassungsschutzbehörden tätig waren. Trotz<br />

dieser Quellen konnten die Mordanschläge nicht verhindert<br />

werden. Vielmehr ist offensichtlich geworden, dass einzelne<br />

V-Leute rechtsextremistische Strukturen erst aufgebaut und<br />

Aktivitäten maßgeblich beeinflusst haben, deren Entstehung<br />

der Verfassungsschutz eigentlich bekämpfen sollte.<br />

Eine mehr als unrühmliche Rolle spielte ein V-Mann des<br />

BayLfV, der die bundesweite Vernetzung der rechten Szene<br />

in den 1990er Jahren über das Thule-Netz mit vorangetrieben<br />

hat. Mittels dieses Mailbox-Verbundsystems, einer Art<br />

Internet-Vorläufer, kommunizierten Rechtsextremisten elektronisch<br />

und koordinierten so ihre Hass-Aktionen. Zum Beispiel<br />

wurden Namen von politischen Gegnern veröffentlicht,<br />

mit der Aufforderung gegen diese vorzugehen. Der V-Mann<br />

hatte, mit Wissen und Wollen des Verfassungsschutzes, einen<br />

maßgeblichen Anteil an Betrieb und Aufbau des Thule-<br />

Netzes und erhielt nicht nur Geld für die Informationen,<br />

die er lieferte, sondern auch zur Anschaffung und für den<br />

Betrieb der technischen Einrichtungen. Obwohl das BayLfV<br />

dadurch Zugang zu einer Fülle an Informationen bekommen<br />

hat, ist nicht erkennbar geworden, wie diese Informationen<br />

zur Bekämpfung des Rechtsextremismus verwendet worden<br />

sind.<br />

Es wird grundsätzlich anerkannt, dass V-Leute und sonstige<br />

Quellen, wenn sie eingesetzt bzw. genutzt werden, vor der<br />

Enttarnung geschützt werden müssen. Der Schutz der Quellen<br />

darf aber nicht so weit gehen, dass sie sogar bei schweren<br />

Straftaten vor Strafverfolgung geschützt werden.<br />

Der Quellenschutz endet jedenfalls dort wo die demokratische<br />

Kontrolle beginnt: Das Auskunftsrecht der parlamentarischen<br />

Kontrollgremien und Untersuchungsausschüsse<br />

muss über dem Interesse am Geheimschutz stehen.<br />

Das von der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus<br />

(BLKR) konstatierte „Trennungsgebot in den Köpfen“ war<br />

auch in Bayern festzustellen.<br />

Hier sollte durch regelmäßige gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen<br />

für die Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz<br />

und der anderen Sicherheits- und Justizbehörden,<br />

insbesondere Polizei und Staatsanwaltschaften, auf<br />

allen Ebenen Verständnis für die wechselseitigen Belange<br />

geweckt werden, um das „Trennungsgebot in den Köpfen“<br />

zu überwinden und die gesetzlich vorhandenen Informationsspielräume<br />

zu nutzen.<br />

Unabhängig hiervon fehlte es den Verfassungsschutzbehörden<br />

an Analysefähigkeit und es bestand die Gefahr, dass die<br />

Inlandsgeheimdienste wegen ihrer geheimen Strukturen ein<br />

Eigenleben ohne demokratische Kontrolle entwickelten.<br />

Als problematisch wird auch angesehen, dass das PKG nicht<br />

immer in ausreichendem Maße informiert worden ist.<br />

Zur Behebung des Problems reichen die bisherigen Maßnahmen,<br />

wie z.B. die Wiedereinrichtung einer eigenen<br />

Abteilung Verfassungsschutz im StMI und die Vorschläge<br />

des BMI zur Reform des Bundesamtes für Verfassungsschutz<br />

vom 03.07.2013 nicht aus. Auch die Präzisierung<br />

der Regelungen über die Zusammenarbeit der Inlandsgeheimdienste<br />

untereinander und mit den Polizeibehörden<br />

sowie der Regelungen über die Auswahl und Führung von<br />

V-Leuten und über die Aufbewahrung und Vernichtung von<br />

Daten und Akten sind keine ausreichenden Antworten auf<br />

das Versagen bei der Beobachtung der rechtsextremistischen<br />

Szene und bei der Aufklärung der NSU-Morde.<br />

2.3. Konsequenzen<br />

Zusätzlich und zum Teil anstelle den von der Mehrheit im<br />

Untersuchungsausschuss vorgelegten Schlussfolgerungen<br />

und Handlungsempfehlungen sowie einzelnen Empfehlungen<br />

der Bund-Länder-Kommission Rechtsextremismus halten<br />

wir folgende Maßnahmen für erforderlich:<br />

1. Das BayLfV kann in seiner bisherigen Form nicht mehr<br />

weiter bestehen:

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