Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag
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Drucksache <strong>16</strong>/<strong>17740</strong> <strong>Bayerischer</strong> <strong>Landtag</strong> • <strong>16</strong>. Wahlperiode Seite 143<br />
sich nach der Einschätzung des Untersuchungsausschusses<br />
trotz der getroffenen Sicherheitsvorkehrungen durch die Polizei<br />
an der Grenze des Vertretbaren.<br />
Alle diese Maßnahmen brachten kein Ergebnis, was auch<br />
der Zeuge Kimmel vor dem Untersuchungsausschuss eingeräumt<br />
hat und im Abschlussvermerk zu den Einsätzen von<br />
den Beamten festgestellt wurde.<br />
Im Abschlussvermerk heißt es am Ende:<br />
„Abschließend ist festzustellen, dass sich aus dem VE-Einsatz<br />
bislang keine Anhaltspunkte für weiterführende offene<br />
Ermittlungen ergeben haben.“ 843<br />
Eine gleichartige Bereitschaft, in Richtung eines möglichen<br />
ausländerfeindlichen Motives zu ermitteln, wäre nach Ansicht<br />
des Untersuchungsausschusses wünschenswert gewesen.<br />
3.5. Operative Fallanalyse (OFA)<br />
3.5.1. Erste OFA vom 22.08.2005<br />
Ein ausländerfeindlicher Hintergrund wurde hier noch nicht<br />
thematisiert. Die Überlegungen mündeten in der Annahme,<br />
dass eine kriminelle Organisation offenbar gezielt Auftragsmorde<br />
verüben lässt. 844<br />
3.5.2 Zweite OFA vom 09.05.2006<br />
Die zweite OFA wurde am 12.06.2006 der BAO vorgestellt.<br />
Zu diesem Zeitpunkt waren bereits neun Morde mit<br />
derselben Tatwaffe auf Bürger mit Migrationshintergrund<br />
in Deutschland verübt worden. In dieser Analyse wurde<br />
nun als Hypothese die sog. Einzeltäter- / Serientätertheorie<br />
vorgestellt, wonach „der“ Täter einen Hass gegen türkische<br />
Ladenbesitzer sowie eine ablehnende Haltung gegenüber<br />
Türken entwickelt habe und vor der Tat wahrscheinlich zur<br />
rechten Szene zugehörig gewesen sei, sich dann aber zurückgezogen<br />
habe, da ihm diese nicht radikal genug erschien.<br />
Den sog. Ankerpunkt sah man damals im Raum Nürnberg,<br />
dieser sei jedoch entsprechend der OFA nicht unbedingt als<br />
möglicher Wohnort der Täter zu verstehen, sondern beziehe<br />
sich auch auf mögliche soziale oder berufliche Kontakte.<br />
Die Hypothese dieser 2. OFA führte zu einem Ermittlungskonzept<br />
der BAO vom 14.07.2006 mit der Grundlage der<br />
obigen Theorie und der sog. Spur 195 (Ermittlungsabschnitt<br />
03, Unterabschnitt 01, Serientäter) unter der Bezeichnung<br />
„Rechtsextremisten“. Somit befand man sich aus heutiger<br />
Sicht – bis auf den möglicherweise falsch interpretierten Ankerpunkt<br />
– zum ersten Mal auf dem richtigen Weg. Doch<br />
selbst nach dieser Analyse standen die Ermittlungen im<br />
Bereich Organisierter Kriminalität nach dem Ergebnis des<br />
Untersuchungsausschusses im Vordergrund, wenn man sich<br />
den jeweils getätigten Aufwand betrachtet. Die ablehnende<br />
Haltung gegenüber dieser Analyse, insbesondere auch sei-<br />
843 Akte 30, S. 77 ff.<br />
844 Akte Nr. 8\ohne Beschluss\StMI-.Akten\2_Anlagen\1.Übersendung\1.IC5-11<strong>16</strong>.14-186_Band_2,<br />
Blatt 0555 ff.<br />
tens der OFA Hamburg und des BKA 845 , wird am besten ersichtlich<br />
durch die kurz darauf, am 11.08.2006, also nicht<br />
einmal einen Monat nach der Erstellung der zugehörigen<br />
Ermittlungskonzeption, folgenden Beauftragung der OFA<br />
Baden-Württemberg durch das Bayerische Staatsministerium<br />
des Innern.<br />
3.5.3 Dritte OFA vom 30.01.2007<br />
Innerhalb dieser dritten Analyse durch das Landeskriminalamt<br />
Baden-Württemberg wurde die Hypothese in Richtung<br />
ausländerfeindliches Motiv abgelehnt und wieder die<br />
Organisierte Kriminalität als wahrscheinlichstes Motiv dargestellt.<br />
Einzelne Formulierungen in der Operativen Fallanalyse<br />
des LKA Baden-Württemberg lassen Vorurteile und z.<br />
B. eine diskriminierende, latent ausländerfeindliche Haltung<br />
erkennen. So heißt es dort: „Vor dem Hintergrund, dass die<br />
Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem<br />
hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich<br />
seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen<br />
Normen- und Wertesystems verortet ist.“ 846 Weiter wird<br />
ausgeführt, dass „alle Opfer weitere Gemeinsamkeiten aufweisen,<br />
die von außen für einen Täter ohne Opferbezug nicht<br />
erkennbar sind“. Als Beispiel dafür wird eine ‚“undurchsichtige<br />
Lebensführung“ der Opfer genannt. 851<br />
3.6. Medienstrategie<br />
In der sog. Medienstrategie der BAO Bosporus wurde bewusst<br />
der mögliche rechte Hintergrund der Mordserie ausgeklammert.<br />
In der Empfehlung der OFA Bayern zu einer<br />
Medienstrategie vom 12.07.2006 heißt es:<br />
„Eine denkbare Nähe zur rechten Szene ist vorstellbar,<br />
jedoch nicht Voraussetzung für die Taten, daher soll dies im<br />
Beitrag auch mit entsprechend geringer Priorität platziert<br />
werden, da vermutlich die Persönlichkeitsstruktur des Täters<br />
der ausschlaggebende Faktor ist und die fremdenfeindliche<br />
Gesinnung lediglich als Vehikel fungiert …“ 847<br />
Im 13. Sachstandsbericht der BAO Bosporus vom 19.06.2006<br />
wird allerdings bereits zuvor zum Medienkonzept ausgeführt,<br />
dass eine konkrete Fahndung nach dem in der zweiten OFA-<br />
Analyse beschriebenen Tätertypus im Moment aus zweierlei<br />
Gründen zurückgestellt worden sei. „Zum einen soll erst<br />
durch den Ermittlungsbereich „Einzeltäter“ und die OFA ein<br />
individualisierbarer Ansatz entwickelt werden, zum anderen<br />
birgt die Veröffentlichung der Einzeltätertheorie die Gefahr<br />
emotionaler Reaktionen in der türkischen Bevölkerung“. 848<br />
845 Vgl. „Gegenüberstellung der Arbeitsthesen „Einzeltäter“ und „Organisation“<br />
des BKA vom 17.08.2006, Akte Nr. 8 (DVD)/ohne Beschluss/<br />
STMI_Akten/2_Anlagen/1. Übersendung/4. BAO_Bosporus_III, Bl.<br />
01100 ff.<br />
846 Akte Nr. 8/BY-4/3_Anlagen/ 1 Aktenordner des PP Mittelfranken zu<br />
BY-4., Bl. 00093 ff., 000173.<br />
847 Akte Nr. 8/BY-4/3_Anlagen/ 1 Aktenordner des PP Mittelfranken zu<br />
BY-4., Bl. 00093 ff., 000188.<br />
848 Akte Nr. 8/BY-4/3_Anlagen/ 1 Aktenordner des PP Mittelfranken zu<br />
BY-4., Bl. 00075 ff.