Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag
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Seite 36 <strong>Bayerischer</strong> <strong>Landtag</strong> • <strong>16</strong>. Wahlperiode Drucksache <strong>16</strong>/<strong>17740</strong><br />
Zum sog. Thule-Netz führte die Sachverständige Röpke<br />
aus: Das Thule-Netzwerk habe einen bundesweiten Charakter<br />
gehabt. Es habe auch Nachahmer gefunden. Man habe<br />
sich in diesem modernen Verbund zusammengeschlossen.<br />
Man habe dort Informationsbasen gehabt, die nicht mehr so<br />
offen übersehbar gewesen seien. Man habe versucht, konspirativ<br />
die neue Technik auszuprobieren, und interessant sei<br />
auch, dass durch Kai Dalek über dieses Thule-Netz Bombenanleitungen<br />
vermittelt worden seien. Kai Dalek habe für<br />
die Szene wegweisenden Charakter gehabt. Er sei eine der<br />
ganz wichtigen Figuren gewesen. So habe man das damals<br />
als beobachtende Fachjournalisten immer wahrgenommen.<br />
Zusammen mit Norman Kempken hätte er durchaus eine –<br />
im negativen Sinne – wegweisende Bedeutung für die Neonazis<br />
bundesweit gehabt. Es habe dann von Thekla Kosche,<br />
einer der ganz intelligenten Frauen der Neonazi-Szene aus<br />
Hamburg, schon frühzeitig die Aussage gegeben, dass Dalek<br />
ein Spitzel sei. Dalek habe durch sein Vorantreiben der militanten<br />
Ideologie bundesweit bei einigen den Argwohn erregt.<br />
Es sei dann genauso wie bei Tino Brandt gewesen, bei dem<br />
diese Gerüchte auch immer wieder aufgetaucht seien. Aber<br />
nichtsdestotrotz sei das Thule-Netz an der Radikalisierung,<br />
vor allem auch der Ideologisierung dieser Szene, ganz stark<br />
mitbeteiligt gewesen.<br />
In Teilen der Szene müsse durchaus auch die Existenz des<br />
NSU bekannt gewesen sein.<br />
Zum Einen finde man in einer Ausgabe vom „Weißen Wolf“<br />
dieses Zitat „Der Kampf geht weiter“. Zum Anderen gebe es<br />
die Geldspende an das Fanzine „Der Weiße Wolf“ und den<br />
Dank dafür. Es gebe weiterhin das Bekennerschreiben, welches<br />
einige Gruppen in der Naziszene vom NSU bekommen<br />
hätten.<br />
Bei André Eminger, einem der vorzeitig entlassenen Helfershelfer<br />
habe man identische Dateien, eines der Bekennervideos<br />
mit dem „Paulchen Panther“ – Mordvideo, im Computer<br />
gefunden. Er hätte eine identische Datei, wie sie Uwe<br />
Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auch in ihrer Wohnung<br />
hatten, auf dem Computer gehabt.<br />
Es gebe laut dem Sachverständigen Funke eine sehr spannende<br />
Konstellation. In dem Monat, in dem das Nagelbombenattentat<br />
in Köln gewesen sei, habe es eine Spezialbroschüre<br />
des Bundesamts gegeben, in der das Trio erwähnt<br />
worden sei und auch die Potenziale beschrieben worden<br />
seien. Es habe jedoch keine Konsequenz für die Analyse und<br />
den Gestaltungswillen in dieser Richtung gegeben.<br />
Laut dem Sachverständigen Funke handele es sich vorliegend<br />
um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.<br />
Es gebe zum Beispiel einen Resonanzboden von 20 bis 30<br />
Prozent in der Gesellschaft, die der Meinung seien, dass die<br />
Juden heute zu viel Einfluss hätten. Das sei eine Herausforderung<br />
für jeden Bürgermeister, für die Politik der Länder<br />
und des Bundes. Das Zweite sei natürlich die Veränderung<br />
der Sicherheitsstrukturen. Was die Verfassungsschutzämter<br />
angehe, würden die V-Leute mehr schaden als nutzen, weil<br />
sie vielfach Informationen zurückhalten und nicht an die Polizei<br />
weitergeben würden. Das sei der Kern des Problems.<br />
Für die Abschaffung dieses Typs von Vertrauensleuten gebe<br />
es gute Argumente.<br />
Die Sachverständige Röpke warf zudem die Frage auf,<br />
warum man auf die Zwickauer Zelle, die doch so umzingelt<br />
von V-Leuten verschiedener Ämter gewesen sei, nicht<br />
zugreifen konnte. Warum habe man nicht tatsächlich etwas<br />
unternommen? Warum sei man im Zusammenhang mit der<br />
„Kameradschaft Süd“ von Martin Wiese nicht in der Lage<br />
gewesen, die Verbindungen offenzulegen?<br />
Die Verfassungsschutzbehörden würden nach Ansicht der<br />
Sachverständigen immer erst dann ihre Erkenntnisse veröffentlichen,<br />
wenn Journalisten schon berichtet oder recherchiert<br />
hätten, also nie im Vorfeld. Sie hätten aus ihrer Sicht<br />
keinen vorbildlichen Warncharakter. Für die Sachverständige<br />
Röpke hätten V-Leute meist eine sehr labile private<br />
Situation, sie seien oft insolvent, spielsüchtig, sie brauchten<br />
einfach das Geld. Es seien mittlerweile so um die 500 Euro<br />
im Monat, die da bezahlt würden, bei Top-Informationen<br />
noch mehr.<br />
Für die Einstellungen von Ermittlungsverfahren gegen V-<br />
Leute sei Tino Brandt das beste Beispiel: 50 Ermittlungsverfahren<br />
– kein einziges Mal habe er sich verantworten<br />
müssen. Das seien Dinge, die mit dem Gerechtigkeitssinn<br />
der Sachverständigen nicht vereinbar seien.<br />
Die Sachverständige Röpke hält V-Leute im Verfassungsschutzbereich<br />
für nicht notwendig. Alles, was von zentraler<br />
Bedeutung sei, könne über andere Verfahren geregelt<br />
werden. Sie nannte schließlich noch ein Beispiel: Die „Heimattreue<br />
Deutsche Jugend“ sei auf Druck der Öffentlichkeit,<br />
der Medien und der Politik verboten worden. Es sei nie die<br />
Rede davon gewesen, dass dort V-Leute eine Rolle gespielt<br />
hätten, sondern das sei einfach Dokumentation und Bildmaterial<br />
gewesen. Das sei der sauberere und ehrlichere Weg. Es<br />
bedürfe der Nachhaltigkeit und Fachkundigkeit, um so etwas<br />
wirklich engagiert betreiben zu können.<br />
Der Sachverständige Dr. Kailitz teilte diese Ansicht.<br />
Eine mögliche Alternative, wäre bei dem NSU gewesen,<br />
die Kontaktliste zu nehmen und eine Telefonüberwachung<br />
mit den Namen zu schalten, die auf der Liste zu finden gewesen<br />
seien, um zu sehen, ob sie von dem Trio kontaktiert<br />
werden würden. Das sei ein Beispiel. Es gebe natürlich noch<br />
andere alternative Maßnahmen, die man ergreifen könne.<br />
Das Grundproblem bei den V-Leuten bestehe darin, dass<br />
hier negative Aspekte abzuwägen seien und die Verlässlichkeit<br />
der Information nicht immer klar sei. Nach den Angaben<br />
des Sachverständigen gebe es Indizien dafür, dass im Falle<br />
von Claus Nordbruch und auch im Falle von anderen V-<br />
Leuten praktisch im Vorfeld Gesinnungsgenossen informiert<br />
worden und die Informationen nur begrenzt an den Verfassungsschutz<br />
gegeben worden seien.<br />
Nach Meinung des Sachverständigen Dr. Kailitz sei es<br />
bei den Verfassungsschutzämtern traditionell durchaus ein<br />
Problem gewesen, dass hier Verwaltungsleute dominierten.