Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag
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Drucksache <strong>16</strong>/<strong>17740</strong> <strong>Bayerischer</strong> <strong>Landtag</strong> • <strong>16</strong>. Wahlperiode Seite 29<br />
deutendste rechtsterroristische Planung im Untersuchungszeitraum<br />
gegolten. Der Sprengstoffanschlag habe bekanntlich<br />
verhindert werden können.<br />
Die „Schutztruppe“ sei der innere Kreis der „Kameradschaft<br />
Süd“, zu dem Martin Wiese und Alexander Metzing zählen<br />
würden. Die Gruppe hätte sich Sprengstoff und Waffen besorgt;<br />
allerdings habe zum Zeitpunkt des Zugriffs noch ein<br />
funktionsfähiger Zünder gefehlt. Wiese sei in der Folge<br />
wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung<br />
zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Im Rahmen<br />
des Prozesses sei die „Schutztruppe“ als Terrorgruppe eingestuft<br />
worden. Die übrigen Angeklagten seien entsprechend<br />
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung<br />
verurteilt worden.<br />
Norman Bordin sei verurteilt worden wegen eines Fast-Totschlags<br />
eines Griechen im Jahr 2001, den er zusammen mit<br />
zwanzig anderen Rechtsextremisten vor der Gaststätte „Burg<br />
Trausnitz“ in München begangen habe. Im Zuge dieses Prozesses<br />
lasse sich eine Aufwühlung der nationalsozialistischen<br />
Szene, der Kameradschaftsszene – vor allem in Bayern, aber<br />
auch darüber hinaus – feststellen. Unter anderem habe es Todesdrohungen<br />
gegen türkische Zeugen gegeben.<br />
In dieser Hinsicht würden im Hinblick auf den ersten NSU-<br />
Mord in München zumindest zwei Punkte auffallen: Erstens<br />
habe der erste Münchner Mord nur einen Tag vor der Urteilsverkündung<br />
gegen Bordin stattgefunden. Weiterhin sei<br />
der Mord – zumindest nach Berichten der „Süddeutschen<br />
Zeitung“ – nur einige hundert Meter entfernt von einem<br />
wichtigen damaligen Treffpunkt der nationalsozialistischen<br />
Szene, dem „Glaskasten“, verübt worden. Bordin mache bis<br />
heute keinen Hehl aus seinen Sympathien für die Taten des<br />
NSU. Im Januar 2012 sei bei einer Versammlung in München,<br />
die er organisiert hätte, über Lautsprecher der Paulchen-Panther-Song,<br />
die Erkennungsmelodie des Bekennervideos<br />
des „Nationalsozialistischen Untergrundes“, abgespielt<br />
worden.<br />
Weit wichtiger sei aber ein Hinweis, der inzwischen aufgetaucht<br />
ist.<br />
Laut Presseberichten habe der italienische Inlandsgeheimdienst<br />
AISI 2008 in Südtirol ein Treffen von gewaltbereiten<br />
nationalsozialistischen Kadern beobachtet. Es sollen<br />
Norman Bordin, zu diesem Zeitpunkt stellvertretender<br />
Bundesvorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“, der<br />
Thüringer NPD-Landesvorsitzende Frank Schwerdt, sein<br />
Stellvertreter Ralf Wohlleben, aus dem weiteren NSU-Unterstützerkreis<br />
Thomas Gerlach, Mitbegründer und Anführer<br />
des militanten „Freien Netzes“ in Thüringen, sowie – neben<br />
einigen Südtiroler Neonationalsozialisten – aus Bayern Uwe<br />
Meenen und Michael Paulus anwesend gewesen sein. Laut<br />
dem in der Presse paraphrasierten Bericht des italienischen<br />
Geheimdienstes soll dort – Zitat – „über die Möglichkeit<br />
der Durchführung fremdenfeindlicher „exemplarischer Aktionen“<br />
diskutiert und eine detaillierte Kartenauswertung<br />
vorgenommen“ worden sein, um – wieder Zitat – „Geschäfte<br />
(Kebabs und andere) ausfindig zu machen, die von außereuropäischen<br />
Staatsangehörigen geführt werden.“ So die Paraphrasierung<br />
des Berichts des italienischen Geheimdienstes.<br />
Im Zuge des Treffens in Südtirol sollen laut Presseberichten<br />
auch 20 000 Euro an die Südtiroler Neonazis aus den Gruppierungen<br />
„Skinheads Tirol Sektion Meran“ und dem „Südtiroler<br />
Kameradschaftsring“ geflossen sein. Das Treffen –<br />
wenn es so stattgefunden habe – würde sich als Indiz dafür<br />
werten lassen, dass dort auch Taten geplant worden seien.<br />
Eventuell lasse sich hier ein Muster erkennen, das sich auch<br />
auf die NSU-Taten der Vorjahre übertragen ließe: dass lokale<br />
Kameradschaften in Tatplanungen einbezogen worden seien.<br />
Es sei demnach zumindest ernster als bisher zu nehmen,<br />
dass der NSU keine Drei-Mann-Truppe gewesen sei, die<br />
über einige Unterstützer verfügt habe, sondern möglicherweise<br />
tatsächlich, wie im NSU-Bekennervideo von 2007<br />
verkündet, ein – Zitat – „Netzwerk von Kameraden mit<br />
Grundsatz ‚Taten statt Worte‘“, mit einer Schlüsselstellung<br />
von Ralf Wohlleben.<br />
Für eine mögliche Verstrickung von Personen aus dem Kreis<br />
der „Kameradschaft Süd“ und der „Fränkischen Aktionsfront“<br />
würden im Falle der Nürnberger und Münchner Morde<br />
einige Indizien – neben den bereits genannten – sprechen.<br />
Nach Presseberichten hätten in den Jahren vor dem siebten<br />
Mord des Nationalsozialistischen Untergrundes in der Trappentreustraße<br />
4 zentrale Mitglieder der „Schutztruppe“<br />
Martin Wiese und sein Stellvertreter Alexander Metzing<br />
sowie Ramona Schenk in einer Wohngemeinschaft in München<br />
in einer Nähe von etwa 100 Metern zum Tatort gewohnt.<br />
Diese Wohnung habe nicht nur als Privatwohnung<br />
von Wiese, sondern inoffiziell auch als eine Art Hauptquartier<br />
der „Kameradschaft Süd“, gegolten.<br />
Zwei der drei Nürnberger Morde seien ebenfalls in recht<br />
naher Umgebung damaliger Treffpunkte der nationalsozialistischen<br />
Szene – konkret: der Gaststätte „Tiroler Höhe“ –<br />
verübt worden. Die Adresse der „Tiroler Höhe“ sei ebenfalls<br />
auf der gefundenen Kontaktliste zu finden.<br />
All das seien natürlich nur Indizien, die erst einmal mit Vorsicht<br />
zu werten seien. Aber es seien zumindest deutliche Indizien,<br />
dass hier eine Verbindung existieren könne.<br />
Der unmittelbare räumliche Zusammenhang der NSU-<br />
Morde zu Treffpunkten der nationalsozialistischen Szene<br />
in Bayern sowie zur ehemaligen Wohnung von Mitgliedern<br />
der rechtsterroristischen Schutztruppe um Wiese erscheine<br />
insofern von Bedeutung und weiter verfolgenswert, als es<br />
sehr unwahrscheinlich sei, dass Mundlos, Böhnhardt und<br />
Zschäpe gänzlich ziellos nach Nürnberg und München gefahren<br />
seien, dort ohne Kontakt zu nationalsozialistisch ausgerichteten<br />
Personen durch die Straßen gestreift und ihre<br />
Opfer ad hoc ausgesucht hätten.<br />
Der Sachverständige PD Dr. Kailitz führte weiter aus,<br />
dass inzwischen eine Datei mit 10 1<strong>16</strong> Adressen bekannt sei.<br />
Er halte es für unwahrscheinlich, dass das Trio diese alleine<br />
gesammelt hätte. Eine gewisse Logistik vor Ort erscheine