Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag
Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag
Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Drucksache <strong>16</strong>/<strong>17740</strong> <strong>Bayerischer</strong> <strong>Landtag</strong> • <strong>16</strong>. Wahlperiode Seite 141<br />
3.2. Nagelbombenanschlag in Köln<br />
Auch bei der Bewertung einer möglichen Verbindung des<br />
Nagelbombenanschlags in Köln mit der Mordserie kam es<br />
zu Fehlern und Fehleinschätzungen. Man hat Parallelitäten<br />
nicht erkannt:<br />
3.2.1 Späte Einbeziehung in die Ermittlungen<br />
Nach der Explosion einer Nagelbombe in der Keupstraße in<br />
Köln am 09.06.2004 hat sich erst am 21.06.2005 der Leiter<br />
der Einsatzgruppe „Sprengstoff“ in Köln an die BAO Bosporus<br />
gewandt und auf die Ähnlichkeiten der Täter und<br />
das gemeinsame Merkmal der verwendeten Fahrräder verwiesen,<br />
um die Überprüfung eines Tatzusammenhangs mit<br />
dem Mord an Ismail Yasar in Nürnberg zu veranlassen. Der<br />
Einsatzgruppenleiter war es auch, der darum bat, der Zeugin<br />
aus Nürnberg die Videosequenz aus Köln vorzuzeigen.<br />
Eine von der BAO Bosporus ausgehende Erst-Initiative zur<br />
Suche nach Verbindungen zwischen den Taten in Nürnberg<br />
und Köln war hingegen nicht feststellbar.<br />
3.2.2 Aussagen der Zeugin Keller<br />
Der Zeugin aus Nürnberg wurde der Film aus der Videoüberwachung<br />
des Kölner Tatorts dann erst am 23.05.2006, also<br />
fast ein Jahr später, gezeigt.<br />
Sie sagte bei dem Vorspielen der Videoaufnahme und im<br />
Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss,<br />
glaubhaft und deutlich aus, dass jeweils ein Täter<br />
beim Mord an Yasar identisch gewesen sei mit einem Täter<br />
des Nagelbombenanschlags („Der war es!“, siehe oben unter<br />
B.3.18.). Dies wurde vom Zeugen Ruppe nachdrücklich und<br />
glaubwürdig bestätigt. Im vom Zeugen Ruppe erstellten<br />
Protokoll der Vernehmung wurde die Aussage dann nur in<br />
abgeschwächter Form wiedergegeben. Dort heißt es nur,<br />
dass sich die Zeugin „ziemlich sicher“ sei, dass jeweils eine<br />
Person aus dem Kölner Video mit einem von ihr in Nürnberg<br />
gesehenen Radfahrer identisch sei. Ein Polizeibeamter<br />
habe die Abschwächung der Aussage laut der Zeugin Keller<br />
auf Nachfrage des Protokollführers veranlasst. Der Untersuchungsausschuss<br />
konnte nicht feststellen, wer dieser Polizeibeamte<br />
war. Der Zeuge Ruppe räumte schließlich im<br />
Rahmen seiner Vernehmung den Unterschied zwischen dem<br />
was die Zeugin gesagt habe und dem was im Protokoll stehe<br />
ein. Eine Erklärung für dieses Vorgehen erhielt der Untersuchungsausschuss<br />
nicht.<br />
Aus heutiger Sicht ist nicht nachvollziehbar, warum dem<br />
konkreten Hinweis der Zeugin Keller so wenig Bedeutung<br />
beigemessen wurde, während vagere Vermutungen und letztlich<br />
haltlose Gerüchte über angebliche kriminelle Machenschaften<br />
der Opfer umfängliche Untersuchungen nach sich<br />
zogen.<br />
Im gesamten Ermittlungszeitraum war die Aussage dieser<br />
Zeugin eine der heißesten Spuren.<br />
3.2.3 Keine vergleichende Fallanalyse<br />
Trotz der klaren und eindeutigen Aussage der Zeugin kam<br />
es nicht zu einer vergleichenden Fallanalyse zwischen den<br />
Taten in Nürnberg und Köln, obwohl dies mehrmals angedacht<br />
und empfohlen bzw. in Aussicht gestellt wurde.<br />
So heißt es in einem Aktenvermerk der BAO Bosporus,<br />
erstellt durch den Zeugen Vögeler, vom 21.09.2006 am<br />
Ende:<br />
„Im Weiteren ist beabsichtigt, eine vergleichende OFA-<br />
Analyse des Verfahrens Bombenanschlag Köln sowie der<br />
Tötungsserie durchzuführen.“ 836<br />
Bereits zuvor wurde eine solche Analyse innerhalb der<br />
zweiten Operativen Fallanalyse (OFA) des Zeugen Horn<br />
vom 09.05.2006 angeregt. 837<br />
Am 12.06.2006 wurde sogar vom Zeugen Geier an die OFA<br />
Bayern der Auftrag erteilt, eine solche vergleichende Analyse<br />
zwischen der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag zu<br />
erstellen. Schließlich kam es jedoch nicht dazu. Im Protokoll<br />
einer Sitzung der Steuerungsgruppe vom 14./15.03.2007<br />
heißt es dazu lediglich:<br />
„Eine weitere vergleichende Fallanalyse zu einem möglichen<br />
Zusammenhang des Kölner Nagelbombenattentats mit<br />
der Mordserie ist nach Einschätzung der OFA BKA, Nordrhein-Westfalen,<br />
Bayern und Baden-Württemberg nicht zielführend<br />
und nicht erfolgversprechend zu leisten. Auf eine<br />
Beauftragung wurde daher verzichtet…“ 838<br />
Weshalb man dies damals so eingeschätzt hat und daher die<br />
angezeigte vergleichende Analyse unterlassen hat, bleibt für<br />
den Untersuchungsausschuss nicht aufklärbar und letztlich<br />
unerklärlich. Nicht erklärbar bleibt auch, weshalb man – wie<br />
vom Zeugen Kimmel eingeräumt – nicht bundesweit sämtliche<br />
Straftaten mit dem Einsatz von Fahrrädern, eventuell<br />
im Zusammenhang mit der Verwendung von Sprengstoff,<br />
überprüft hat.<br />
3.3. Abgabe der zentralen Ermittlungen an das BKA<br />
Nach Angaben des Zeugen HOPPE sei es bereits nach dem<br />
ersten Mord möglich gewesen, das Verfahren durch das BKA<br />
zu übernehmen, wenn die Staatsanwaltschaft Nürnberg-<br />
Fürth um das Verfahren ersucht hätte. Die Tatbestandsmerkmale<br />
des § 4 Abs. 1 des BKA-Gesetzes wären dann erfüllt<br />
gewesen. 839<br />
Eine Zentralisierung der polizeilichen Ermittlungen auf das<br />
Bundeskriminalamt (BKA) wurde erstmals im Jahr 2004,<br />
nach dem fünften Mord der Serie, diskutiert. Man kam<br />
836 Akte Nr. 8/BY-2/3_Anlagen /3.Teillieferung/Band 02/P-BAO Bosporus<br />
Nr 24, Seite 18.<br />
837 Akte Nr. 8/BY-6/3_Anlagen/ 1 Aktenordner des PP Mittelfranken zu<br />
BY-4.<br />
838 Akte Nr. 8/BY-2/3_Anlagen /1.Teillieferung/ 4. Führungsakte Nr.20<br />
der BAO Bosporus_Protokolle Steuerungsgruppe (Band1)<br />
839 Hoppe, 09.04.2013, S. 6.