Schlussbericht (Drs. 16/17740) - Bayerischer Landtag
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Drucksache <strong>16</strong>/<strong>17740</strong> <strong>Bayerischer</strong> <strong>Landtag</strong> • <strong>16</strong>. Wahlperiode Seite 147<br />
3.10. Rolle der Staatsanwaltschaft und der Justizverwaltung<br />
3.10.1 Sammelverfahren<br />
Der Staatsanwaltschaft obliegt im Ermittlungsverfahren die<br />
Sachleitungsbefugnis. Es ist ihre Aufgabe, den rechtlich<br />
einwandfreien Ablauf der Ermittlungen sicherzustellen und<br />
die ständige rechtliche Kontrolle über die polizeiliche Ermittlungstätigkeit<br />
auszuüben. Stehen Straftaten, die in unterschiedlichen<br />
staatsanwaltschaftlichen Bezirken begangen<br />
wurden, miteinander im Zusammenhang, ist die Errichtung<br />
eines Sammelverfahrens, also die Zusammenführung der<br />
Verfahren unter das Dach einer einzigen Staatsanwaltschaft,<br />
geboten. Siehe hierzu Nr. 25 ff. der Richtlinien für das Strafverfahren<br />
und das Bußgeldverfahren (RiStBV).<br />
Im Laufe der Mordserie wurde die Staatsanwaltschaft<br />
Nürnberg-Fürth mehrmals mit der Anregung konfrontiert,<br />
eine Zusammenführung der Ermittlungen in Form eines<br />
Sammelverfahrens herbeizuführen. So im September 2001<br />
durch den damaligen Referatsleiter für strafrechtliche Einzelsachen<br />
im Bayerischen Staatsministerium der Justiz 856<br />
und im April 2004 durch die Staatsanwaltschaft Rostock 857 .<br />
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat diese Vorstöße<br />
stets abgelehnt. Trotz der zum damaligen Zeitpunkt offenkundigen<br />
Verbindung der Morde über dieselbe Tatwaffe und<br />
die einheitliche Tatbegehung war nach ihrer Einschätzung<br />
nicht ausreichend belegt, dass die Morde auch von denselben<br />
Tätern verübt worden sind. 858 Diese Bewertung ist für den<br />
Untersuchungsausschuss fachlich nicht überzeugend.<br />
Erst nach dem siebten, am 15. Juni 2005 in München begangenen<br />
Mord regte die Staatsanwaltschaft München I mit<br />
Bericht vom 21. Juni 2005 eine Verfahrensverbindung der<br />
Münchner und Nürnberger Verfahren bei der Staatsanwaltschaft<br />
Nürnberg-Fürth an. Mit einer Anordnung des Amtschefs<br />
des Staatsministeriums der Justiz (§ 147 Abs. 2 GVG)<br />
wurden die Ermittlungen in den Münchner Mordfällen am<br />
24. Juni 2005 der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth übertragen.<br />
Die Errichtung eines Sammelverfahrens für alle<br />
Mordfälle unterblieb bis zum Ende der Mordserie. Auch<br />
nachdem bereits neun Tote zu beklagen waren, sind die Ermittlungen<br />
nebeneinander von fünf verschiedenen Staatsanwaltschaften<br />
geführt worden. Der Untersuchungsausschuss<br />
bewertet dies als Mangel in der Ermittlungsführung.<br />
Auch die Bund-Länder-Kommission Rechtsextremismus<br />
(BLKR) stellt in ihrem Abschlussbericht fest, dass die Bildung<br />
eines Sammelverfahrens bei einer Staatsanwaltschaft<br />
in den konkreten Fällen geboten gewesen wäre: 859<br />
„Unabhängig von einer zentralen polizeilichen Ermittlung<br />
wäre auch gemäß Nr. 25 RiStBV das Führen eines Sammel-<br />
856 Damalige Rechtsgrundlage: § 100a S. 1 StPO a.F. mit Geltungszeitraum<br />
vom 19.2.2005 bis 29.11.2007.<br />
857 Akte 378.<br />
858 Akte 8, BY-2, Anlagen, 1. Teillieferung, 1. Führungsakte Nr. 06a der<br />
BAO Bosporus, S. 34f.<br />
859 ZV Kimmel, 10.04.2013, S. 71.<br />
verfahrens zu den Česká-Morden bei einer Staatsanwaltschaft<br />
in Betracht gekommen.“<br />
Nr. 25 RiStBV lautet:<br />
„Im Interesse einer zügigen und wirksamen Strafverfolgung<br />
ist die Führung einheitlicher Ermittlungen als Sammelverfahren<br />
geboten, wenn der Verdacht mehrerer Straftaten<br />
besteht, eine Straftat den Bezirk mehrerer Staatsanwaltschaften<br />
berührt oder ein Zusammenhang mit einer<br />
Straftat im Bezirk einer anderen Staatsanwaltschaft besteht.<br />
Dies gilt nicht, sofern die Verschiedenartigkeit der<br />
Taten oder ein anderer wichtiger Grund entgegensteht.“<br />
Aufgrund der offensichtlichen Tatzusammenhänge lagen<br />
die Voraussetzungen der Nr. 25 RiStBV zur Führung eines<br />
Sammelverfahrens vor. Es sind keine Gründe ersichtlich, die<br />
einem Sammelverfahren entgegen gestanden hätten. Diese<br />
Einschätzung vertrat auch das BKA in dem oben zitierten<br />
Bericht an das BMI vom 2. Mai 2006:<br />
„Bisher ist es noch nicht einmal gelungen, ein staatsanwaltschaftliches<br />
Sammelverfahren (Nr. 25 ff. RiStBV) sicherzustellen,<br />
das nach Lage der Dinge am ehesten bei der StA<br />
Nürnberg anzusiedeln wäre. Ein solches Sammelverfahren<br />
ist in jedem Fall geboten. Es wäre im Übrigen die wesentliche<br />
und geeignete Voraussetzung für ein Ersuchen der dann<br />
federführenden Staatsanwaltschaft an das BKA gemäß § 4<br />
Abs. 2 Nr. 1 BKAG, was eine Anordnung nach § 4 Abs. 2<br />
Nr. 2 BKAG obsolet machte.“<br />
Die BLKR hat die Justizministerien Bayern, Hessen und<br />
Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen um<br />
Mitteilung gebeten, ob die zu den Morden ermittelnden<br />
örtlichen Staatsanwaltschaften versucht haben, die Ermittlungen<br />
nach Nr. 25 RiStBV zu zentralisieren oder in Erwägung<br />
gezogen haben, den Generalbundesanwalt nach<br />
§ 142 a GVG zu beteiligen. (…) Zum gleichen Sachverhalt<br />
führte das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern<br />
aus, nach der Begehung des Mordes am 25. Februar 2004<br />
sei die Übersendung der Akten mit Verfügung vom 1. April<br />
2004 an die Staatsanwaltschaft Nürnberg erfolgt und darum<br />
ersucht worden, das Verfahren nach Nr. 25 RiStBV zu übernehmen.<br />
Die Übernahme des Verfahrens sei dort abgelehnt<br />
worden. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für<br />
Verbraucherschutz nahm auf eine Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft<br />
Nürnberg Bezug. Darin heißt es, mit<br />
den zuständigen Staatsanwaltschaften München und Hamburg<br />
sei abgesprochen gewesen, die Verfahren bei den örtlich<br />
zuständigen Staatsanwaltschaften zu belassen. Zwar sei<br />
dieselbe Waffe verwendet worden, jedoch sei nicht geklärt<br />
gewesen, ob die Taten vom selben Täter begangen worden<br />
seien.<br />
Die BLKR kann die Argumentation der Generalstaatsanwaltschaft<br />
Nürnberg nicht nachvollziehen. Ein Sammelverfahren<br />
im Sinne von Nr. 25 RiStBV setzt nicht zwingend voraus,<br />
dass die Taten vom selben Täter begangen werden. Bereits<br />
die Kenntnis darüber, dass dieselbe Tatwaffe zur Begehung<br />
im Bezirk anderer Staatsanwaltschaften verwendet worden