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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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98 Michael Lukas Moeller<br />

dung des allgemeinen Arztes gemessen, dürfte sie am ehesten einer<br />

gemeinsamen Abwehrarbeit entsprechen. Gelingt diese inadäquate<br />

Behandlung nicht, resultiert die Überweisung zum Fachpsychotherapeuten.<br />

Dem Patienten bleiben die Prinzipien der Überweisung<br />

meist unklar (vgl. De Boor 1958) 5 . Sie kommen damit fremdmotiviert<br />

zum Psychotherapeuten. Nach De Boor (1958) ist bei überwiesenen<br />

Patienten darüber hinaus meist eine negative Übertragung zum<br />

Psychotherapeuten konstelliert. Die vorangegangenen und gescheiterten<br />

Therapieversuche des nicht-psychotherapeutischen Arztes, die<br />

zur Überweisung führen, haben den Patienten enttäuscht. Er bringt<br />

häufig eine negative Einstellung zum Therapeuten mit.<br />

Aufgrund der Versorgung ist also <strong>für</strong> den denkbar ungünstigsten<br />

Ausgang der ersten therapeutischen Begegnung gesorgt. Mit der<br />

Überweisung setzt sich im übrigen die Selektion nach Klassen und<br />

Konflikten intrainstitutionell fort (vgl. Andrews et al. 1959) und<br />

findet über Diagnose (Pasamanick, Dinitz, Lefton 1959), Indikation<br />

zu bestimmten Behandlungsformen (Schaffer, Myer 1954; Brill, Storrow<br />

1960; Gallagher, Sharaf, Livinson 1965) und den Therapieverlauf<br />

(Imber, Nash, Stone 1955) bis zum Resultat der Behandlung nach<br />

allen Untersuchungen auch kein Ende (Hollingshead, Redlich 1958;<br />

Overall, Aronson 1963; Hoehn-Saric et al. 1964).<br />

4. Durch die auf Klinik, Poliklinik und Praxis zentralisierte Behandlung,<br />

wird der psychisch Kranke aus seiner sozialen Situation<br />

isoliert. Inwieweit diese Zentralisierung unumgänglich ist oder nicht,<br />

kann in diesem Rahmen nicht diskutiert werden. Hier sollen die<br />

Konsequenzen der daraus resultierenden Isolation hervorgehoben<br />

werden.<br />

Psychisch Kranke sind — wie erwähnt — ebenso psychosozial wie<br />

intrapsychisch gestört. Sie fühlen sich besonders abhängig von der<br />

Umgebung. Durch die therapeutische Isolation geraten nun gerade<br />

die <strong>für</strong> die psychischen Störungen entscheidenden Zusammenhänge<br />

der konkreten Lebenssituation und die beeinträchtigten psychosozialen<br />

Funktionen aus dem Blickfeld der Ärzte. Entscheiden und<br />

Handeln des Kranken und der Stellenwert seiner Erkrankung in der<br />

sozialen Umgebung bleiben randständig. <strong>Das</strong> wird besonders schwerwiegend,<br />

wenn die Ärzte, selbst weitgehend den oberen Mittelschichten<br />

entstammend, zu dieser konkreten Lebenssituation eine<br />

große soziale Distanz haben.<br />

In psychotherapeutischer <strong>Theorie</strong> und Therapie wird dadurch die<br />

soziale Dimension unterschätzt. Kilian spricht provokativ von<br />

„a-sozialer Medizin" (1970). So konnte das Krankheitsverhalten übersehen<br />

werden und seine Selektionsfolgen bis hin zu den konfliktund<br />

schichtspezifischen psychotherapeutischen Einrichtungen. The-<br />

5 <strong>Das</strong> dürfte die Folge einer Rollenverteilung zwischen Arzt und<br />

Kranken sein, in der dem Arzt überlegene Allwissenheit, dem Kranken<br />

Unmündigkeit zugeschrieben wird. Diese ärztliche Ideologie schließt den<br />

Kranken aus, bietet ihm keine Einsicht, macht ärztliche Entscheidungen<br />

nicht transparent.

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