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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Eine Rollentheorie im revolutionären Kostüm 133<br />

Die Mütter die Söhne verlieren, aber ich / Behielt meinen Sohn. Wie<br />

behielt ich ihn? Durch / Die Dritte Sache. / Er und ich waren zwei,<br />

aber die dritte / Gemeinsame Sache, gemeinsam betrieben war es,<br />

die / Uns einte. / Oftmals selber hörte ich Söhne / Mit ihren Eltern<br />

sprechen. / Wieviel besser war doch unser Gespräch / Über die dritte<br />

Sache, die uns gemeinsam war / Vieler Menschen große, gemeinsame<br />

Sache! / Wie nahe waren wir uns, dieser Sache / Nahe! Wie gut waren<br />

wir uns, dieser / Guten Sache nahe!" (Bertolt Brecht: Die Mutter.<br />

Stücke, Bd. V, Aufbau-Verlag 1957, S. 89.)<br />

Der Nutzen der Rollentheorie liegt auf der Hand. Wo die Errungenschaften<br />

der bürgerlichen Revolution, etwa Freiheit und Gleichheit,<br />

sich als Illusion erwiesen, bietet die Rollentheorie ein Mittel,<br />

die Probleme, die sich als Rollenhaftigkeit der Menschen darbieten,<br />

indem man sie aufzeigt, gleichzeitig zu verstellen. Der Bezug zur<br />

Wirklichkeit, den die Rollentheorie in der Tat hat, und das, was im<br />

Rollenbegriff selber noch kritisch gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

herauslesbar wäre, werden auf zweierlei Weise unkenntlich<br />

gemacht. Zum einen wird das, was das Kapitalverhältnis den<br />

Menschen antut, was zugleich den Wirklichkeitsaspekt bietet, auf den<br />

die Rollenmetapher sich anwenden ließe, zur Seinskonstante des vergesellschafteten<br />

Menschen erhoben. Indem so eine verschwindende<br />

Gestalt Ewigkeitsstatus erhält, wird damit zugleich der status quo<br />

theoretisch verewigt, wird der Kapitalismus als höchste und letzte<br />

Gesellschaftsformation angegeben. Zum anderen benutzt die Rollentheorie<br />

ihren in der Wirklichkeit verankerten Bezug zur Legitimation,<br />

die Rollenmetapher beliebig und unendlich auf alle Funktionen,<br />

Seinslagen, Beziehungen und Handlungen der Menschen schlechthin<br />

auszudehnen — (Dreitzel spricht etwa von der Rolle des Unterdrückten,<br />

der Rolle des Streikenden und von Rolleninteressen) —, so<br />

daß am Ende nicht mehr auffindbar ist, ob nun die etikettierte Rollenhaftigkeit<br />

ihren Grund in der Wirklichkeit oder im Ansatz der<br />

<strong>Theorie</strong> hatte.<br />

Aus der Tatsache, daß der Rollenbegriff als Metapher in der Alltagssprache<br />

verbreitet ist, bezieht die Soziologie ihre Legitimation,<br />

die Rollentheorie als Erkenntnistheorie <strong>für</strong> die Wissenschaft von<br />

der Gesellschaft auszubauen. Die Alltäglichkeit des Begriffs verweist<br />

zugleich auf seinen Realitätsbezug, der der Rollentheorie ihre<br />

Verbreitung sichert und überhaupt erst die Möglichkeit gibt, zur<br />

Zementierung der Verhältnisse und zur Verhinderung von Aufklärung<br />

beizutragen. Wenn man den Begriff der Entfremdung nicht wie<br />

Dreitzel umbiegt zu einem Wort, das <strong>für</strong> einen Vorgang im Individuum<br />

benutzt wird — „Entfremdung von den Rollenidentitäten" —,<br />

sondern an seiner Bedeutung in der Kritik der politischen Ökonomie<br />

festhält, wird es möglich, sowohl die Phänomene ausfindig zu machen,<br />

die als Rollen sich beschreiben lassen, als auch ihre Erklärung<br />

und mit ihr die Möglichkeit ihrer Veränderung zu liefern.<br />

Entfremdung meint ganz allgemein, daß etwas dem Menschen<br />

Eigenes ihm als Fremdes gegenübertritt. Im Kapitalverhältnis erstreckt<br />

sich diese Verkehrung auf alle geistigen, schöpferischen und

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