Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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46 Rainer Seidel<br />
sind die nationale Organisation der USA, die „National Association<br />
for Mental Health", 1950 gegründet, und vor allem die internationale<br />
Organisation, die World Federation for Mental Health, WFMH, die<br />
1948 in London gegründet wurde.<br />
Bei aller Rührigkeit der psychohygienisch orientierten Bürger in<br />
den USA wurden doch insgesamt gesehen kaum nennenswerte Erfolge<br />
erzielt. 1955 setzte der amerikanische Kongreß eine „JOINT<br />
COMMISSION ON MENTAL ILLNESS AND HEALTH" ein zur Untersuchung<br />
der Lage der psychiatrischen Versorgung, die in ihrem<br />
1960 vorgelegten Bericht, ACTION FOR MËNTAL HEALTH (1961),<br />
zu vernichtenden Resultaten bzgl. der Lage der psychiatrischen Versorgung<br />
kam: Viele Tausende von schwer Kranken erhielten nur sehr<br />
wenig oder gar keine Versorgung: der gewaltige Personalmangel<br />
wurde beklagt sowie die Milliardensumme an Verlusten durch psy -<br />
chische Erkrankungen 103 . Als Ursache <strong>für</strong> diese Misere sah der Bericht<br />
in erster Linie Vorurteile gegenüber den psychisch Kranken 104 ;<br />
auch warf er der psychohygienischen Bewegung vor, daß sie sich zu<br />
sehr auf primäre Prävention konzentriert habe, deren reale Möglichkeit<br />
gar nicht erwiesen sei 105 . Diese <strong>Argument</strong>ation trifft in keiner<br />
Weise die wahren Ursachen; diese liegen vielmehr in den Bedingungen<br />
einer umfassenden und wirksamen Krankenversorgung, wie<br />
sie zuvor diskutiert wurden.<br />
Eine weitere Bemerkung speziell zur Psychohygienischen Bewegung<br />
sei noch angeführt. Die Mental-Health-Bewegung ist eine spontan-ungeplante<br />
Bürgerinitiative, abhängig von den sich jeweils anbietenden<br />
Geldmitteln und den jeweiligen Interessen der Beteiligten.<br />
Damit hängt auch zusammen, daß sie weitgehend an Wert- und Zielvorstellungen<br />
kleinbürgerlicher und bürgerlicher Schichten der USA<br />
orientiert war 108 , und — sofern sie überhaupt eine Verbesserung der<br />
psychiatrischen Versorgung erreichte — daß sie eben diesen Schichten<br />
und viel weniger den Arbeitern zugute gekommen sein dürfte. Einer<br />
der Gründe ihrer Wirkungslosigkeit war zweifellos auch der Mangel<br />
an Planung und umfassender Organisation: durch adhoc-Bestrebungen<br />
einzelner oder kleiner aktivistischer Gruppen ist eben eine umfassende<br />
Gesundheitsversorgung, und erst recht eine Prävention,<br />
nicht zu erreichen.<br />
Auch in Deutschland gab es eine psychohygienische Bewegung, jedoch<br />
von wesentlich geringerem Ausmaß als in den USA. 1925 wurde<br />
von dem Gießener Psychiater Sommer, der seit längerer Zeit psychohygienische<br />
Aktivitäten verfolgte, der „Deutsche Verband <strong>für</strong> psychische<br />
Hygiene" gegründet 107 . Die Psychohygiene hatte in Deutschland<br />
wegen des grundsätzlich konservativen Charakters der deutschen<br />
biologistisch orientierten Psychiatrie von vornherein einen<br />
103 ACTION FOR MENTAL HEALTH 1961, S. 3, 4, u. a.<br />
104 desgl. besonders Kapitel III.<br />
105 desgl. S. 70 f.<br />
106 u. a. s. Gursslin et al. 1959/60.<br />
107 Müller-Hegemann 1967, S. 10.