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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Bedingungen <strong>für</strong> die Prävention psychischer Störungen 17<br />

Stadium der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals kam durch<br />

die gewaltsame Vertreibung von Bauern und Klosterinsassen und<br />

durch die Arbeitslosigkeit im Handwerk eine Masse von Besitzlosen<br />

und Arbeitslosen in die Städte 12 . Die absolutistische Staatsmacht ließ<br />

eine Anzahl von großen <strong>Institut</strong>ionen errichten, die sog. Zuchthäuser,<br />

workhouses oder hôpitaux généraux, in die je nach Bedarf große<br />

Menschenmengen interniert wurden. Die psychisch Gestörten waren<br />

in diese Masse mit eingeschlossen; <strong>für</strong> sie begann hier die Stufe der<br />

Aufbewahrung, die im Laufe der Zeit zunehmend systematischer<br />

betrieben wurde.<br />

Wie Dörner (1968) aufzeigt, setzte nach den bürgerlichen Revolutionen<br />

in England, Frankreich und später auch Deutschland ein Prozeß<br />

der Differenzierung des Heeres der Arbeitsunfähigen und Arbeitslosen<br />

ein: die Armen auf den Arbeitsmarkt, die Verbrecher in<br />

Zuchthäuser, die Irren in Irrenanstalten. Mit dem Übergang zur<br />

kapitalistischen Produktionsweise war ein Arbeitsmarkt entstanden,<br />

der einer „disponiblen industriellen Reservearmee" (Marx) bedarf.<br />

Dies wiederum setzt die potentielle Arbeitsfähigkeit einer hinreichenden<br />

Anzahl von Menschen voraus. Diese Notwendigkeit sowie<br />

die Notwendigkeit einer ökonomisch effektiven Aufbewahrung und<br />

schließlich — keineswegs im Widerspruch zu den ökonomischen<br />

Grundinteressen stehend — die humanistischen Absichten bürgerlicher<br />

Reformer wie Pinel und Tuke ließen die Ansätze jener dritten<br />

Stufe entstehen, den Versuch der Behandlung der psychisch Gestörten.<br />

Allerdings hielten sich die tatsächlichen Anstrengungen der Gesellschaft<br />

zu einer wirksamen Behandlung der Geisteskranken in engen<br />

Grenzen. Im großen und ganzen lief die Psychiatrie sowohl in<br />

den europäischen Ländern als auch in den USA eher auf eine Aufbewahrungsinstitution<br />

hinaus. Zwar wurden besonders in der Phase<br />

der sog. deutschen Universitätspsychiatrie, die ab etwa 1850 die deutsche<br />

Psychiatrie führend werden ließ, auf der Grundlage naturwissenschaftlich<br />

orientierter Beobachtung gewisse Fortschritte in der<br />

Erforschung der psychischen Störungen gemacht; insgesamt jedoch<br />

fehlte es völlig an den materiellen Gegebenheiten: die Anstalten<br />

waren viel zu groß und in keiner Weise zur intensiven Behandlung<br />

ausgestattet. Hierbei ist zu beachten, daß in der Zeit des Konkurrenzkapitalismus<br />

das Ausmaß staatlicher Aktivität überhaupt auf ein<br />

Minimum eingeschränkt ist 13 . Unter diesen Bedingungen, unter denen<br />

noch nicht einmal die theoretisch mögliche Behandlung der Kranken<br />

erfolgte, konnte sich ein Präventionsgedanke oder eine Präventionspraxis<br />

schon gar nicht entwickeln.<br />

Die Entstehung des Präventionsgedankens im Bereich der psychischen<br />

Störungen liegt zu Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA,<br />

also zu einer Zeit, in der das staatliche Eingreifen in ökonomische und<br />

soziale Prozesse notwendigerweise immer mehr zuzunehmen begann.<br />

Die Entwicklung des Präventionsgedankens ist eng verbunden<br />

12 Marx, K., <strong>Das</strong> Kapital, I, Kap. 24.<br />

13 s. DER IMPERIALISMUS DER BRD, 19<strong>71</strong>, S. 10 f., 242 f.

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