Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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156 Besprechungen<br />
— funktional äquivalenten — erlebnis- und handlungsmäßigen Reduktionsweisen<br />
die dreifache Aufgabe „sinnvermittelter" Sozialsysteme<br />
verfehlen müsse, die Konstitution von Erfahrungswelt, Sozialkommunikation<br />
und Selbstbegründung zu leisten (215), wodurch<br />
Luhmann in die Lage versetzt sei, „bereits die Forderung nach einer<br />
diskursiven Begründung von Geltungsansprüchen als sinnlos abweisen<br />
[zu müssen]" (221). Hieraus ergibt sich viertens die Kritik an<br />
Luhmanns funktionalistischem Begriff der Wahrheit als eines Mediums<br />
der Übertragung von Selektionsleistungen, der ein „praktizistisches"<br />
Selbstverständnis der Systemtheorie (226 ff.) impliziere<br />
und damit deren Ausgang von der Idee funktional zu bewältigender<br />
Weltproblematik desavouiere. Habermas entwickelt darauf fünftens<br />
die Auffassung, daß eine durch den funktionalistischen Wahrheitsbegriff<br />
beschränkte Systemtheorie sowohl sich die Entzifferung<br />
herrschaftslegitimierender Ideologie versagen muß als auch die Beschränkung<br />
praxisrelevanter Kommunikation zu rechtfertigen geneigt<br />
ist (267). Daher, so argumentiert Habermas abschließend, kann<br />
sich Luhmanns funktionalistische Systemtheorie nur in einer Dimension<br />
„verteidigen" lassen, in der ihr „kategorialer Apparat einen<br />
zwar wesentlichen, aber doch nur einen Aspekt der gesellschaftlichen<br />
Evolution erfaßt, nämlich die Zunahme an Kontrollfähigkeiten<br />
oder Selbststeuerungskapazitäten", die Luhmann mit seiner Formulierung<br />
evolutionärer Universalien begreift (272 ff.). Dieser evolutionstheoretischen<br />
Dimension seien die Dimensionen des „wissenschaftlich-technischen<br />
Fortschritts" und der „emanzipativen Veränderung<br />
von <strong>Institut</strong>ionensystemen" hinzuzufügen. <strong>Das</strong> will Habermas<br />
in der Reflexion auf die universellen Ausgangsbedingungen<br />
gesellschaftlicher Evolution: „Produktion", „Verkehrsform", „Sprache"<br />
und „Ideologie" verdeutlichen, die er in der Tat in „einer losen<br />
Anknüpfung an Marxsche Grundbegriffe" entwickelt (277) und durch<br />
einen Versuch ergänzt hat, „einige der wichtigsten Annahmen des<br />
Historischen Materialismus neu zu formulieren" (286 ff.).<br />
Luhmann konzentriert sich in seiner Entgegnung darauf, solche<br />
Bedenken von Habermas systemtheoretisch aufzufangen. Er verfeinert<br />
zunächst die Konzeption der Komplexitätsreduktion durch die<br />
Einführung der Differenz von unbestimmbarer und bestimmbarer<br />
Komplexität — die er auf Systemumwelten wie auf Systeme selbst<br />
bezieht — und durch das Zugeständnis eines Doppelcharakters sinnhafter<br />
Reduktion, zugleich Verengung und Erweiterung der bestimmbaren<br />
Felder möglicher Zustände oder Ereignisse zu sein<br />
(309 ff.). Luhmann rechtfertigt zweitens die Konstruktion von nicht<br />
sprachlich, sondern systemisch konstituiertem Sinn, indem er einerseits<br />
die Habermassche Idee des wahrhaften Konsens stiftenden<br />
Diskurses an einem Modell des sozialen Diskussionssystems mißt und<br />
diesen Begriff des Diskurses seiner idealistischen Überhöhung entkleidet<br />
und andererseits auf nicht-diskursive Dimensionen der Intersubjektivität<br />
von Sinnkonstitution sowie auf die Möglichkeit eines<br />
bloß operativ gestifteten Konsens verweist (320 ff.). Luhmann präsentiert<br />
drittens eine kommunikationstheoretisch begründete Syste-