Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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102 Michael Lukas Moeller<br />
Die Hauptintegration wird jedoch im Entwicklungsstadium der<br />
Mediziner, d. h. durch den medizinischen Unterricht geleistet werden.<br />
<strong>Das</strong> ist durch die bereits beschlossene medizinische Ausbildungsreform<br />
angezielt. Der sogenannte Basalarzt soll künftig über Psychosomatik,<br />
Psychotherapie; Medizinische Psychologie und Medizinische<br />
Soziologie jene Informationen erhalten, die ihm heute fehlen. <strong>Das</strong><br />
Krankenverhalten bei psychischen Störungen ist in den Lernzielkatalog<br />
der Psychosomatik/Psychotherapie aufgenommen worden<br />
(Lernziel-Kommission 19<strong>71</strong>). Im Unterricht sollte der angehende<br />
Mediziner die konkrete Lebenssituation des Kranken kennenlernen<br />
— etwa in Form einer psychosozial orientierten Betreuung von Familien<br />
(vgl. die Forderung Strotzkas zur Erforschung pathogener<br />
Familien 1970) oder Berufsgruppen am Arbeitsplatz (vgl. Abholz<br />
1970) über längere Zeit während des Studium. Damit ist eine neue<br />
Verhaltensdisposition künftiger Ärzte vorauszusehen, die sowohl die<br />
Distanz zur psychotherapeutischen Perspektive als auch die Distanz<br />
zu den Kranken reduziert.<br />
4. Der Mangel an Psychotherapeuten bei einem sich ausdehnenden<br />
Aufgabenbereich erfordert neben der immer wieder betonten Intensivierung<br />
der Spezialausbildung eine breite Aktivierung bisher unzureichend<br />
genutzter therapeutischer Potentiale.<br />
So können nicht-psychotherapeutische Ärzte psychotherapeutische<br />
Betreuungen bei angemessener Anleitung durchführen, wie sie etwa<br />
Richter und Beckmann (1969) <strong>für</strong> die Herzneurose beschrieben. In<br />
Lernzielen der Psychosomatik/Psychotherapie ist die psychologische<br />
Führung von Kranken vorgesehen (Lernzielkommission 19<strong>71</strong>). Darüber<br />
hinaus müssen andere Ausbildungs- bzw. Fortbildungsveranstaltungen<br />
intensiviert und vor allem in neuer Form entwickelt werden.<br />
Der Verbund von Psychotherapeuten mit Praktikern oder mit<br />
Mitarbeitern nicht-psychotherapeutischer Kliniken im Sinne der<br />
Balint-Gruppen wird praktiziert 9 Denkbar wären psychotherapeutische<br />
Ausbildungsgänge in kurzfristig intensiver Form bei gleichzeitigem<br />
praktischen Umgang mit den Patienten — etwa in Analogie<br />
zu gruppendynamischen Laboratorien. Eine Wandlung der üblichen<br />
theoretisch informierenden Kongresse zu Kongressen, in denen<br />
psychotherapeutisches Handeln in Gruppen geübt wird, wäre anzustreben.<br />
Es sind aber vor allem neue Ausbildungsgänge <strong>für</strong> nicht-ärztliche<br />
Laien zu wünschen. Auf dem denkbaren Ausbildungskontinuum, das<br />
von Laien einerseits und vom psychotherapeutischen Spezialisten<br />
andererseits begrenzt ist, liegt ein unzureichend genutztes therapeutisches<br />
Potential. Eine Ausbildung <strong>für</strong> Laien mit fortlaufend gleitenden<br />
Abschlüssen, in der also jeder erreichte Ausbildungsschritt un-<br />
9 Diese Art Fortbildung ist allerdings <strong>für</strong> praktizierende Ärzte meist<br />
mit einem finanziellen Verlust verbunden: durch Einbuße an Verdienst<br />
und Bezahlung der Fortbildung. <strong>Das</strong> ökonomische Problem ergibt sich aus<br />
der privaten Struktur der Praxis; erst wenn hier eine Lösung gefunden<br />
ist, wird die Fortbildung intensiver aufgenommen werden.