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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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132 Frigga Haug<br />

sehen Kampf mit dem Charakter des Scheins. Wo überhaupt ein kollektiver<br />

Sinn noch möglich ist, d. h. wo also der die kapitalistischen<br />

Produktionsverhältnisse reproduzierende Schein der Rollenhaftigkeit<br />

abgeschüttelt wird, etwa in aktivem oder passivem Widerstand, im<br />

Streik, im politischen Kampf, werden die Menschen bei Dreitzel in<br />

der <strong>Theorie</strong> noch einmal entwirklicht, indem er ihr Handeln als<br />

Rollenspiel vereinnahmt. Nicht die Wirklichkeit ist es, die die Kämpfenden<br />

sich zu eigen machen, das inhaltliche Engagement entfernt sie<br />

nicht von ihren Rollen, sondern sie entwerfen „Gegenrollen".<br />

Gerade aber dieses Moment der Rückführung des politischen<br />

Kampfes auf ein Spiel von Rollen verweist besonders deutlich auf<br />

den Status dieser <strong>Theorie</strong>. Eine <strong>Theorie</strong>, die wie die Rollentheorie<br />

auf die Analyse der Bedingungen verzichtet, unter denen die Menschen<br />

ihr Leben produzieren, die ausgeht von den einzelnen Phänomenen,<br />

muß notwendig einen Erklärungszusammenhang liefern, der<br />

sich als eine Konstruktion der Summe der Einzelphänomene einer<br />

bestimmten Gesellschaft mit dem Geltungsbereich <strong>für</strong> Gesellschaft<br />

schlechthin erweist. Die Wirklichkeit gibt den Rollentheoretikern in<br />

den Einzelphänomenen recht, und gerade darum muß Dreitzel die<br />

Vorstellung als Zumutung abwehren, auch die Wirklichkeit, die Basis,<br />

könne „auf dem Kopf stehen", so <strong>für</strong> sich genommen als Schein<br />

sich erweisen. Ihr Vorgehen verurteilt diese <strong>Theorie</strong> von vornherein<br />

dazu, innerhalb der gesteckten Grenzen jener Gesellschaft zu bleiben,<br />

aus deren Phänomenen sie ihre Legitimation bezog. Rollenhaftigkeit<br />

wird synonym mit Gesellschaftlichkeit. (Man lese z. B. solche unsinnigen<br />

Legitimationssätze wie diesen: „Nur in Gesellschaft kann man<br />

gegen die Gesellschaft sein." — als ob es darum ginge, gegen Gesellschaft<br />

schlechthin zu sein, oder aber das gesellschaftliche Wesen des<br />

Menschen zu verleugnen.)<br />

Die Rollentheorie verliert nicht nur die Produktionsverhältnisse<br />

zugunsten der Intersubjektivität der Menschen aus den Augen.<br />

Durch die Zurücknahme der wirklichen Verhältnisse in die distanzierende<br />

Betrachtung des einzelnen werden gerade die zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen, die immerhin den Anschein noch erwecken<br />

konnten, es gehe um die Vermittlung des Sozialen, aus der Untersuchung<br />

verbannt. Zurück bleibt schließlich nur der <strong>für</strong> sich seiende<br />

Mensch, dem die Wirklichkeit als Theaterstück sich darstellt und der<br />

sich selbst als Voyeur zur Wirklichkeit und zu sich selber verhält.<br />

Diese <strong>Theorie</strong> zielt, so sehr sie sich verbal dagegen sträubt, immer<br />

aufs isolierte Individuum. <strong>Das</strong> Kollektiv figuriert nur scheinbar als<br />

Summe isolierter einzelner (wie etwa Hippies). So ist sinnvoll nicht<br />

das Tun der Menschen, sondern die Einheit von Identität und Distanz<br />

im einzelnen. Entfremdung bezieht sich nicht auf bestimmte Produktionsverhältnisse,<br />

sondern auf das Verhältnis des Individuums zu<br />

seiner Rolle, ist also allgemeingesellschaftlich und kann durch den<br />

Erwerb der nötigen Distanz in jeder Gesellschaft aufgehoben werden.<br />

Niemals kommt die dritte Sache vor, wie sie etwa bei Brecht das<br />

Verhältnis oder auch die Rollen von Mutter und Sohn bestimmen<br />

konnte: „Lob der Dritten Sache: Immerfort hört man, wie schnell /

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