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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Medizin 175<br />

der Schizophrenie-Ätiologie, von der „gesicherten Rolle der Vererbung"<br />

— ohne sich mit Don Jacksons Kritik an dieser angeblich<br />

gesicherten Rolle auseinanderzusetzen. Überhaupt macht er der<br />

deutschsprachigen Lehrstuhlpsychiatrie noch an manchen anderen<br />

Stellen den Kotau: Angeblich seien von Kraepelins — „des Schöpfers<br />

des heute auch noch weithin gültigen Systemes von Krankheiten"<br />

—, 1904 erschienener Arbeit über seine Reise nach Java<br />

„mehr oder weniger alle heutigen Erkenntnisse auf diesem Gebiet"<br />

(der „vergleichenden Psychiatrie") „herzuleiten", z. B. die Entdeckung<br />

bis dahin unbekannter Krankheitsbilder wie Amok und Latah. Hier<br />

irrt Strotzka. Die genannte Arbeit ist ein Reisebericht, die genannten<br />

Krankheitsbilder wurden von holländischen Psychiatern auf Java<br />

(u. a. von Brero) lange vor Kraepelin beschrieben; und es ist offensichtlich,<br />

daß Kraepelin seine voluntaristischen psychiatrischen<br />

Krankheitseinheiten, die wir unglückseligerweise von ihm geerbt<br />

haben, auf dieser Reise überall wiederfinden wollte, weil er ihre universelle<br />

Gültigkeit damit zu beweisen versuchte. Aber ein Autor, der<br />

in der deutschsprachigen Psychiatrie etwas werden will, muß sich vor<br />

Kraepelin verbeugen —, besonders, wenn er selber Psychoanalytiker<br />

ist, muß er seine Solidarität — d. h. seine Zustimmung zu den ideologischen<br />

Prinzipien der an der Macht befindlichen Psychiatrie — beweisen.<br />

So ist das Traktätchen zu einem Plädoyer <strong>für</strong> einen psychiatrischen<br />

Pluralismus und <strong>für</strong> gemäßigte Reformen geworden. Es ist ein getreues<br />

Abbild der bundesdeutschen Irrenhäuser, deren Ärzte von<br />

Sozialpsychiatrie reden, hier und da auch etwas verschönern, um<br />

aber im wesentlichen — in der Asylierungspsychiatrie, der Zersplitterung<br />

der ambulanten Versorgung der psychisch Kranken (s. Diebold)<br />

— so weitermachen zu können wie bisher.<br />

Erich Wulff (Gießen)<br />

Redlich, Fredrick C., und Daniel X. Freedman: T h e o r i e u n d<br />

Praxis d e r P s y c h i a t r i e . Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M.<br />

1970 (1201 S., Ln., 78,— DM).<br />

Als Lehrbuch der Psychiatrie bietet das Buch von Redlich und<br />

Freedman weit mehr als herkömmliche deutsche Lehrbücher in diesem<br />

medizinischen Bereich. Es nimmt in aller Ausführlichkeit in die<br />

Psychiatrie die Forschungsergebnisse anderer Sozialwissenschaften<br />

auf, so daß man einen guten Überblick über die „moderne" Psychiatrie<br />

und ihre Grenzgebiete bekommt. Da außerdem didaktisch sehr<br />

gut vorgegangen wird, ist das Buch besonders als Einführung (trotz<br />

seines Umfangs) zu empfehlen. Erwähnenswert ist hier, daß der allgemeine<br />

Teil, der sowohl medizinische als auch sozialwissenschaftliche<br />

Voraussetzungen und Grundlagen der Psychiatrie darstellt, fast<br />

die Hälfte des Buches ausmacht. Gerade aber dies dürften die wichtigsten<br />

Kapitel <strong>für</strong> den „Allgemeinmediziner" sein. So werden z. B.<br />

in sehr verständlicher Weise psychologische und soziologische Be-

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