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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Ökonomie 203<br />

die Conference on Economic Progress, daß 39 Mio. Amerikaner ein<br />

Jahreseinkommen von 2000 bis 3000 Dollar (Entbehrung) und weitere<br />

38 Mio. ein Jahreseinkommen bis 2000 Dollar (Armut), darunter 12,5<br />

Mio. bis 1000 Dollar (Elend) hatten (20 f.), d. h., daß etwa 21 % der<br />

amerikanischen Bevölkerung in Armut lebten. In England wurde <strong>für</strong><br />

das Jahr 1960 festgestellt, daß 7,5 Mio. Personen, also 14 °/o der Gesamtbevölkerung,<br />

als „arm" zu bezeichnen waren. 1953/54 dagegen<br />

waren „nur" 4 250 000 Personen, also 8 °/o der Gesamtbevölkerung,<br />

arm (30).<br />

Eines der Hauptergebnisse des Pariser Kolloquiums ist, daß die<br />

Armen, jene „subproletarische", sich im „Zustande der Isolierung"<br />

bewegende „Randschicht" (7) eine eigene „Kultur der Armut" ausgebildet<br />

haben. Diese trete nach der <strong>Theorie</strong> von Oscar Lewis zwar<br />

auf soziologischer, psychologischer oder kultureller Ebene in Erscheinung,<br />

habe ihre Ursachen jedoch im wirtschaftlichen Bereich.<br />

Unterbeschäftigung, Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, die Tätigkeit<br />

in einer Reihe nicht qualifizierter Verrichtungen, Kinderarbeit, Mangel<br />

an Ersparnissen, chronischer Mangel an flüssigem Geld, Mangel<br />

an Nahrungsvorräten im Hause, Anleihen bei Wucherern zu hohen<br />

Zinssätzen u. a. (137) zählen zu ihren charakteristischen Zügen.<br />

<strong>Das</strong> dritte Kapitel gibt die Referate wieder, die sich mit den soziologischen<br />

und psychologischen Aspekten des Problems beschäftigen<br />

(59 ff.). Im letzten Kapitel schließlich kommt man zu der Einsicht,<br />

„daß eine Aktion gegen die Armut, die soziale Marginalität, die<br />

sozialen Abweichungen ihre volle Wirkung nur im Rahmen einer<br />

allgemeinen Konzeption der Wirtschaft und Gesellschaft erreichen<br />

kann" (158), es wird jedoch nicht untersucht, wieweit die Armut<br />

nicht nur Begleiterscheinung ist, sondern zum Wesen des kapitalistischen<br />

Systems gehört. „Der Pauperismus", schreibt Karl Marx im<br />

ersten Band des Kapitals (673), „bildet das Invalidenhaus der aktiven<br />

Arbeiterarmee und das tote Gewicht der industriellen Reservearmee.<br />

Seine Produktion ist eingeschlossen in der Produktion der relativen<br />

Überbevölkerung, seine Notwendigkeit in ihrer Notwendigkeit, mit<br />

ihr bildet er eine Existenzbedingung der kapitalistischen Produktion<br />

und Entwicklung des Reichtums". Klanfer und die Teilnehmer des<br />

Pariser Kolloquiums bieten keine Analyse der wirtschaftlichen Zusammenhänge<br />

und der ökonomischen Determinierung der Armut.<br />

Die Armut wird entdeckt, beschrieben, untersucht in der Vielfalt<br />

ihrer Erscheinungsformen, nicht aber erklärt. Darüber hinaus erweisen<br />

sich allgemeine Definitionen der Armut, wie diejenige des<br />

zweiten Arbeitskreises, wobei als „arm" diejenigen Familien oder<br />

Individuen gelten, „deren Geldeinkommen und andere Hilfsquellen<br />

... deutlich unter jenen stehen, über die eine Person oder eine Familie<br />

im Durchschnitt der Gesellschaft verfügt" (165, 164), als inoperabel,<br />

wenn man darunter solche heterogenen Gruppen zusammenfaßt<br />

wie schwach qualifizierte Arbeiter, Alkoholiker, Rechtsbrecher,<br />

Prostituierte, vaterlose Familien, Gastarbeiter oder die Bewohner<br />

schwach industrialisierter Gebiete (11, 56, 154—156).<br />

Marios Nikolinakos (Berlin)

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