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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Anpassung in der psychiatrischen Therapie<br />

als Gefangenenwärter und Hüter der sozialen Ordnung. Wenn wir<br />

nun im Patienten keinen unheilbar Kranken mehr sehen, negieren<br />

wir ihn gleichzeitig als psychiatrisch festgelegten Fall; damit negieren<br />

wir seine Krankheit als wissenschaftliche Definition . . . " (28/29).<br />

„In diesem Sinn kann unsere gegenwärtige Aktion nur in einer Negation<br />

bestehen, die, ausgehend von einer Umwälzung einer <strong>Institut</strong>ion<br />

und ihrer Wissenschaft, bis zur Negation des therapeutischen<br />

Aktes als Lösungsmittel <strong>für</strong> soziale Konflikte reicht..." (135).<br />

„... wir schlagen die Negation vor, als die vorläufig einzige Möglichkeit<br />

einer Aktion innerhalb des politisch-ökonomischen Systems, das<br />

jede Affirmation als ein neues Instrument zur eigenen Konsolidierung<br />

absorbiert" (157). Schließlich wird noch darauf hingewiesen,<br />

daß „die Richtlinien der Aktion ständig durchbrochen werden müssen;<br />

gerade weil sie systemimmanent sind, müssen sie pausenlos<br />

verändert, nach und nach negiert und zerstört werden" (137). Die<br />

politische und psychiatrische Lösung wird also in einer abstrakten<br />

Negation gesehen: es wird abstrahiert von den konkreten gesellschaftlichen<br />

Verhältnissen, die abgelehnt werden, und es wird abstrahiert<br />

von der materiellen Seite der Negation; die Negation bleibt<br />

ein Bewußtseinsakt, ein Akt des Willens.<br />

Eine solche Vorstellung wird jedoch nicht nur dem eigenen Anspruch<br />

untreu, auf der Basis polit-ökonomischer Analyse, Alternativen<br />

zu entwickeln, sondern er bleibt auch <strong>für</strong> den „gesunden Menschenverstand"<br />

als praktikable Lösung total unverständlich. Besonders,<br />

wenn man berücksichtigt, daß nicht nur einige Intellektuelle<br />

ihre Krankheit, ihre soziale Umwelt negieren sollen, sondern daß es<br />

die psychisch Kranken sind, die so zugleich therapiert und den Fängen<br />

der Manipulation und Ausbeutung entzogen werden sollen. Entsprechend<br />

verschwommen und nicht begreifbar wird es dann auch<br />

an den Stellen, an denen etwas über den Therapierten, den Entlassenen<br />

ausgesagt wird. Der Entlassene kann „auch eine radikale Protestfunktion<br />

erfüllen, indem seine bloße Existenz in der Außenwelt die vom System<br />

gewollte eindimensionale Welt schroff widerlegt..." (181/182).<br />

Mit diesem Ansatz der Negation als therapeutischem und politischem<br />

Moment geraten die Autoren in eine hoffnungslose Situation, die sie<br />

selbst zu beschreiben wissen: „Wir negieren die <strong>Institut</strong>ion und<br />

gleichzeitig verwalten wir sie; wir klammern die Krankheit aus und<br />

gleichzeitig behandeln wir sie; wir lehnen die Therapie ab und<br />

gleichzeitig wenden wir sie an. In diesem Sinn sind Negation und<br />

Verwaltung eng miteinander verbunden" (181).<br />

Trotz dieses Widerspruchs übertragen Basaglia und seine Mitarbeiter<br />

ihre Überlegungen auf weitere Bereiche der Gesellschaft.<br />

„In Görz stehen wir heute vor der Frage, wie und wieweit wir mit<br />

unserer Aktion der Negation auf die Gesellschaft werden einwirken<br />

können; denn unser neues Ziel ist nunmehr das Gesellschaftssystem<br />

und nicht mehr die einzelne <strong>Institut</strong>ion" (111). An anderer Stelle<br />

wird dann auch das Angehen dieses Ziels durch den „Ausgeschlossenen"<br />

angedeutet: „Sobald die politische Kritik auch das subversive<br />

Potential all derer mit einbezieht und berücksichtigt, die erklärter-<br />

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