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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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158 Besprechungen<br />

man die Wahrheit der Geltungsbegründungen von Herrschenden<br />

oder von sonst jemandem diskutiert und auf vernünftigen Konsens<br />

zu bringen sucht" (293). Dagegen hat Habermas bestenfalls den Vorwurf<br />

zu setzen, daß die Luhmannsche Systemtheorie dem Kapitalismus<br />

nützlich ist: „diese <strong>Theorie</strong> stellt sozusagen die Hochform eines<br />

technokratischen Bewußtseins dar, das heute praktische Fragen als<br />

technische von vornherein zu definieren und damit öffentlicher und<br />

ungezwungener Diskussion zu entziehen gestattet" (145). In Zeiten<br />

der staatsmonopolistischen Regulierung des Kapitalismus ist der<br />

Ideologe der bürgerlichen Demokratie leider — das muß man gerade<br />

als Marxist bedauern — gegenüber der <strong>Theorie</strong> selbstregelnder Systeme<br />

durchaus im Rückzüge begriffen.<br />

Ich neige zu der Auffassung, daß die Aufgabe der von Habermas<br />

intendierten Gesellschaftstheorie, die Bedingungen der Herstellung<br />

einer Gesellschaft mündiger Menschen zu benennen, nur erfüllt werden<br />

kann, wenn sich diese Gesellschaftstheorie zur Gänze — und<br />

nicht nur hinsichtlich des Problemfeldes gesellschaftlicher Regelung<br />

und Steuerung — als dynamische Systemtheorie konstituiert; und<br />

ich möchte ferner die Auffassung vertreten, daß der Anspruch der<br />

von Luhmann entwickelten Systemtheorie, die sozialen Tatbestände<br />

hinsichtlich ihres Bezuges auf die konkrete Totalität von Welt interpretieren<br />

zu können, nur zu verwirklichen ist, wenn sich diese Systemtheorie<br />

ihrer Aporien — der Denkschwierigkeiten gerade im<br />

Bereich der theoriebegründenden Annahmen — durch dialektischmaterialistische<br />

Selbstbegründung entledigt. Diese Auffassungen, die<br />

ich hier freilich nicht hieb- und stichfest ausformulieren kann, sondern<br />

nur, um mit Luhmann zu reden, als „Denkversprechen" vortrage,<br />

will ich an drei Zentralproblemen jeder sozialwissenschaftlichen<br />

Systemtheorie verdeutlichen, nämlich an den Problemen der<br />

Konstitution, der Funktion und der Evolution gesellschaftlicher<br />

Systeme.<br />

Charakteristisch <strong>für</strong> Luhmann wie <strong>für</strong> Habermas ist zunächst<br />

die — milde gesprochen — Unschärfe des Entwurfs der Verfassungen<br />

gesellschaftlicher Systeme. Die Elemente und Relationen, die <strong>für</strong> die<br />

Konstitution des Systems wesentlich sind, werden bei beiden Autoren<br />

nicht oder nicht hinreichend benannt. Die Konstitution gesellschaftlicher<br />

Systeme ergibt sich bei Habermas — wenn ich ihn recht<br />

verstanden habe — durch „instrumentales Handeln unter Bedingungen<br />

zweckmäßiger Kooperation" (277), „Regeln kommunikativen<br />

Handelns oder symbolisch vermittelter Interaktion" (278) und „umgangssprachliche<br />

Kommunikation . . . [in] Form des Diskurses . . . ,<br />

ein Mechanismus <strong>für</strong> Lernprozesse", die Ideologien erzeugen wie<br />

überwinden (279). Es wäre konsequent — und im übrigen im Sinne<br />

einer historisch-materialistischen Systemtheorie — diese Dimensionen<br />

gesellschaftlicher Praxis, die man analytisch trennen mag, doch<br />

als Momente eines gesellschaftlichen Praxissystems zu begreifen, in<br />

dem die Einheit von Naturnotwendigkeit, Vergesellschaftung und Geschichtsabhängigkeit<br />

menschlicher Praxis sich darstellt, und das sich in

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