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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Besprechungen<br />

Abhandlung dem Zweck zu diskutieren, „ob sich Kunst nicht immer<br />

noch als Mimesis begreifen läßt" (10).<br />

Als „Grundkategorien der Mimesistheorie" unterscheidet Tomberg<br />

zwischen Widerspiegelung, Antizipation und Parteilichkeit. Bezeichnend<br />

<strong>für</strong> Tombergs Methode der Verbindung systematischer und<br />

historischer Analytik ist es, daß diese Kategorien nicht abstrakt deduziert,<br />

sondern aus Texten der kunstphilosophischen Tradition erschlossen<br />

werden: die Kategorie der Widerspiegelung aus der Aristotelischen<br />

Poetik, die Kategorie der Antizipation aus Schillers Dichtungstheorie,<br />

die der Parteilichkeit aus der Kunsttheorie von Lukäcs.<br />

Ausgehend von einer präzisen Interpretation der Poetik weist Tomberg<br />

nach, daß die Aristotelische Bestimmung der Kunst als Mimesis<br />

der Praxis, obwohl vornehmlich am Gegenstand der Tragödie orientiert,<br />

<strong>für</strong> alle Formen der Poesie Gültigkeit besitzt. Aristoteles „setzt<br />

bereits als bekannt und selbstverständlich voraus, daß die Kunst (...)<br />

handelnde Menschen nachahmt" (11). Der grundlegende Begriff der<br />

Praxis hat dabei den Sinn „gesellschaftlich notwendiger Tätigkeit",<br />

d. i. solche Tätigkeit, „die letztlich zur vollendeten Eudaimonie als<br />

der gelungenen Übereinstimmung von Mensch und Natur führen<br />

soll" (17). <strong>Das</strong> Kunstwerk als Mimesis der Praxis ist somit Nachahmung<br />

der dialektischen Einheit von Mensch und Natur; Nachahmung<br />

der Natur ist es insofern auch, als es „imitatio von Dingen<br />

ist, die der durch Arbeit vermenschlichten Natur angehören" (18).<br />

Tombergs Interpretation der Kunstauffassung des Aristoteles gehört<br />

zu den überzeugendsten Teilen seiner Schrift. Die sozialphilosophische<br />

Begründung kunsttheoretischer Analytik, die Tombergs<br />

gesamte Auseinandersetzung mit Phänomenen der Kunst beherrscht,<br />

findet er in der Philosophie des Aristoteles vorgezeichnet: in der Zuordnung<br />

des Begriffs der Kunst zur sozialen und ideologischen Situation<br />

der athenischen Polis. So hat die Kunst bei Aristoteles primär<br />

die Funktion eines in der ästhetischen Imagination zu vollziehenden<br />

„freudigen Erkennens" seitens des Polisbürgers (Katharsis als ästhetische<br />

Lust), eines Erkennens des gesellschaftlichen Sinnes seiner<br />

Existenz: der allein in der Polis wirklichen Eudaimonie als der harmonischen<br />

Wesenseinheit von Mensch und Natur. In diesem Sinne<br />

verstanden wird Mimesis bei Aristoteles „wesentlich zur Widerspiegelung<br />

einer gegenwärtig vollendeten Eudaimonie" (25).<br />

Bezieht sich der Begriff der Widerspiegelung auf die Darstellung<br />

einer als Eudaimonie begriffenen gegebenen Wirklichkeit, so meint<br />

der der Antizipation Mimesis „einer zukünftig wirklichen Eudamonie"<br />

(28): Vorgriff auf ein Noch-nicht-Wirkliches. Es ist dies <strong>für</strong> Tomberg<br />

die Essenz der Schillerschen Dichtungstheorie. Schillers Begriff des<br />

Ideals wird souverän von der Falsifikation durch die deutsche bürgerliche<br />

Ideologie befreit und in seiner Gültigkeit <strong>für</strong> eine historischmaterialistische<br />

Kunsttheorie aufgearbeitet. Dies kann allerdings<br />

nicht von Schillers idealistischen Prämissen her geschehen. Vielmehr<br />

ist Antizipation nur dann „als eine legitime Kategorie der ästhetischen<br />

Mimesis" anzuerkennen, wenn gezeigt wird, „daß auch dann<br />

die Mimesis einer vollendeten gesellschaftlichen Eudaimonie möglich

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