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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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128 Hans Peter Dreitzel<br />

Rollenbegriff selbst schon einen Vorgriff auf das Ziel der Emanzipation.<br />

Die Tendenz zur Überforderung der Ich-Identität durch die Ausweitung<br />

des Rollenhaushalts, die Tendenz zur Entfremdung durch<br />

repressive Normen und die Tendenz zur Affektverdrängung beim<br />

Rollenspiel stoßen heute nicht so sehr auf den Widerstand der organisierten<br />

Linken, die vielmehr diese Tendenzen zunehmend reproduziert*<br />

5 , als vielmehr auf die sich aus dem Gegenmilieu immer weiter<br />

verbreitende antiautoritäre Weigerung, überhaupt eine funktionale<br />

Ich-Identität zu entwickeln, beziehungsweise Rationalität noch ins<br />

Rollenverhalten miteinzubringen 38 . Es ist noch nicht ausgemacht, ob<br />

diese Weigerung den Anfang vom Ende einer langen Geschichte zunehmender<br />

Affektkontrolle und wachsender Ich-Identitätsbildung<br />

signalisiert oder ob der Prozeß der Kapitalverwertung sich die freigesetzte<br />

Affektivität durch erneute Scheinintegration auf die Dauer<br />

wird nutzbar machen können. Jedenfalls scheint mir dieser Konflikt<br />

<strong>für</strong> die Zukunft der entwickelten Industriegesellschaften möglicherweise<br />

von größerer Bedeutung als die Auseinandersetzung zwischen<br />

den organisierten Interessen von Kapital und Arbeit 37 .<br />

und 372 f. Ich gehe deshalb im folgenden auf diesen Teil der These nicht<br />

mehr ein; eine ausführlichere rollentheoretische Analyse möglicher und<br />

realer Strategien des Klassenkampfes würde eine eigene Untersuchung<br />

erfordern.<br />

35 Gemeint ist hier die fatale Dialektik in der Entwicklung der Studentenbewegung,<br />

die sich darin zeigt, daß mit der sogenannten „Überwindung<br />

der anti-autoritären Phase" und dem Aufkommen entschiedener<br />

Positionen in der „Organisationsfrage" der ursprünglich abgelehnte Leistungsdruck<br />

nun unter verändertem Vorzeichen als selbst abverlangte<br />

Askese wiederkehrt. Die Häufigkeit von Hinweisen wie: „das muß noch<br />

geleistet werden", „das muß erst aufgearbeitet werden", scheint mir symptomatisch<br />

<strong>für</strong> diesen Wandel. Zur Kritik dieser Entwicklung siehe die Aufsätze<br />

von Karl Markus Michel und Michael Schneider im Kursbuch 25,<br />

Oktober 19<strong>71</strong>.<br />

36 <strong>Das</strong> Auftauchen neuer religiöser Erweckungsbewegungen ist da<strong>für</strong><br />

ebenso symptomatisch wie die weiter fortschreitende Verbreitung von<br />

psychodelischen und suchterregenden Drogen. Die Vielfalt un- und halbpolitischer<br />

subkultureller Erscheinungen ist damit freilich noch nicht erschöpft.<br />

Man könnte mit Rolf Schwendter regressive und progressive<br />

Subkulturen unterscheiden (<strong>Theorie</strong> der Subkultur, Köln/Berlin 19<strong>71</strong>);<br />

beiden gemeinsam scheint aber heute das Unbehagen am bürgerlichen Ich-<br />

Ideal zu sein.<br />

37 Diese Vermutung ist nicht nur auf dem Hintergrund des Revisionismus<br />

der etablierten Linksparteien und Gewerkschaften in den kapitalistischen<br />

Ländern zu sehen, sondern auch im Hinblick auf die Realität<br />

und hierarchische Struktur der Rollenbeziehungen in den Transformationsgesellschaften<br />

gemeint. <strong>Das</strong> wird aufs neue bezeugt durch die Rezeption<br />

der Rollentheorie in der DDR: ein unkritisch-funktionalistischer Rollenbegriff<br />

wird zwanglos übernommen und in der Analyse von Leistungsfunktionen<br />

an den vom ZK bestimmten Sachinteressen der Produktivitätssteigerung<br />

orientiert. Dieses Vorgehen führt schließlich zu der grotesken<br />

Behauptung, daß soziales Ansehen (sie!) genieße, wer eine Auf-

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