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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Soziale Rolle und politische Emanzipation<br />

Die soziologische Rollentheorie ist ein wissenschaftliches Paradigma:<br />

sie bietet keine Handlungsorientierung, an ihr wird auch<br />

nicht Halt gesucht, wie Peter Furth meint, sondern sie ist, um mit<br />

Luhmann zu sprechen, Reduktion einer komplexen Wirklichkeit mit<br />

dem begrenzten Ziel, einige Strukturen dieser Wirklichkeit verstehbar<br />

und erklärbar zu machen. Kein wissenschaftliches Paradigma freilich<br />

kann universalen Anspruch erheben; seine Reichweite ist allemal<br />

begrenzt. <strong>Das</strong> gilt erst recht <strong>für</strong> die relativ junge <strong>Theorie</strong> sozialer<br />

Rollen, deren Reichweite noch kaum ausgelotet ist. Ich werde mich<br />

deshalb im folgenden nicht so sehr auf das schon Erreichte stützen,<br />

um einmal mehr auf die Fruchtbarkeit der Rollentheorie <strong>für</strong> die<br />

Mikroanalyse von Interaktionsprozessen hinzuweisen, als vielmehr<br />

darlegen, in welcher Richtung die Rollentheorie künftig fruchtbar<br />

gemacht werden könnte. Als soziale Rolle wird hier ein Komplex von<br />

Verhaltenserwartungen verstanden, die sich auf einen Relevanzbereich<br />

des sozialen Handelns beziehen. Dabei geht als allgemeine<br />

Erwartung an das Individuum in die Rolle mit ein, daß der Rollenspieler<br />

unterschiedliche Verhaltenserwartungen im Hinblick auf einen<br />

Relevanzbereich zu einer sinnvollen Einheit seiner Handlungsvollzüge<br />

intentional zu koordinieren weiß. Der Ausdruck „sinnvolle Einheit"<br />

bezieht sich dabei sowohl auf die Ausrichtung eines Handelns<br />

auf eine bestimmte Bedürfnisbefriedigung oder Wertrealisierung als<br />

auch auf die vom Rollenspieler geforderte Integration unterschiedlicher<br />

Bestandsstücke typisierter Verhaltensschemata. Rollenverhalten<br />

ist also nicht schon der bloße Gehorsam gegenüber detaillierten<br />

Verhaltensvorschriften, sondern entsteht erst durch eine spezifische<br />

Ich-Leistung in der intentionalen Ausrichtung des sozialen Handelns,<br />

die im Verhältnis zu den normativen Erwartungen auf Distanz und<br />

Engagement zugleich beruht. Daneben erfordern soziale Rollen ein je<br />

unterschiedliches Maß an Identifikation, aus der starke oder schwache<br />

Rollenidentitäten sich entwickeln, die ihrerseits Bestandstücke der<br />

Ich-Identität selbst werden. Die widersprüchlichen Elemente, die in<br />

diesen Rollenbegriff eingehen, zeigen dessen dialektischen Charakter.<br />

Sie verweisen zugleich darauf, daß es so etwas wie ein „normales"<br />

Rollenspiel nur als Grenzfall gibt und daß die „normalen" empirischen<br />

Verhältnisse vielmehr Gegenstand einer Pathologie des Rollenverhaltens<br />

sind, die zugleich auf die Pathologie der Menschen wie auf<br />

die ihrer <strong>Institut</strong>ionen verweist. Aus dem dialektischen Charakter<br />

dings jenseits der Fragestellung von Peter Furth. Seinem Aufsatz gerecht<br />

zu werden fällt mir schwer, weil Furth mir die Legitimität der eigenen<br />

Fragestellung von vornherein bestreitet. So kann es leicht zu einem Aneinandervorbeireden<br />

kommen, eine Gefahr, die, wie ich meine, um so<br />

größer wäre, wollte ich seinen Essay Seite um Seite durchkämmen —<br />

wozu er freilich Anlaß genug bietet. Ich halte es <strong>für</strong> sinnvoller, in der<br />

Entgegnung auf eine resignative Verwerfung aller Rollentheorie, die<br />

nicht einmal in der Lage ist, auf die Frage nach dem subjektiven Faktor<br />

unter den Konstitutionsbedingungen sozialen und politischen Verhaltens<br />

eine alternative Antwort anzudeuten, ein wenig von dem sichtbar zu<br />

machen, was als nicht realisiertes Potential die Rollentheorie noch birgt.<br />

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