Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Rainer Seidel<br />
Bedingungen <strong>für</strong> die Prävention<br />
psychischer Störungen<br />
1. Problemstellung<br />
„Vorbeugen ist besser als Heilen". Dieses Prinzip ist in der Medizin<br />
schon seit der Antike theoretisch erkanntAuch <strong>für</strong> den Bereich der<br />
psychischen Störungen wurde die Forderung nach Prävention seit<br />
langem erhoben. Sie ist z. B. nicht unwesentlicher Bestandteil der<br />
Mental-Health Bewegung in den USA und war bereits Programmpunkt<br />
der ersten psychohygienischen Vereinigung in Connecticut<br />
1908 2 .<br />
Obwohl der Gedanke, lieber vorzubeugen als erst die bereits eingetretene<br />
Krankheit zu heilen, offenbar jedermann einsichtig ist, so<br />
ist doch das Problem in der psychiatrischen und psychologischen<br />
Fachliteratur weitgehend vernachlässigt worden. Es scheint geradezu<br />
bezeichnend zu sein, daß häufig, sobald über Vorbeugung psychischer<br />
Störungen gesprochen wird, die Darlegungen sich in Allgemeinplätzen,<br />
Trivialitäten und frommen Wünschen erschöpfen. Sanford 3 bemerkt,<br />
daß Prävention zwar häufig als letztes Ziel der Forschung<br />
angegeben wird, tatsächlich in der Literatur aber als bloßer Nebengedanke<br />
behandelt wir„d. Ein Blick in psychiatrische Lehrbücher bestätigt<br />
dieses Mißverhältnis von vorgegebener Wichtigkeit und tatsächlicher<br />
wissenschaftlicher Bearbeitung dieses Problems. Zum Beispiel<br />
verwendet Bleuler in seinem bekannten Lehrbuch mit 670 S.<br />
nicht mehr als 4 Seiten <strong>für</strong> das Thema der Vorbeugung 4 , die zudem<br />
auf vorwissenschaftlichem Niveau verbleiben. Auch das renommierte<br />
„American Handbook of Psychiatry" (1959/66) behandelt Prävention<br />
nur im Vorübergehen; explizit werden dem Thema ca. 6 Seiten gewidmet<br />
5 . In den letzten Jahren ist die Literatur über Prävention<br />
angestiegen. Aber das allein besagt auch nicht viel über die Ernsthaftigkeit<br />
der Auseinandersetzung. So bezeichnet Dörfcen 6 das unverbindliche<br />
Gerede von der Notwendigkeit der Prävention treffend<br />
als Lippenbekenntnis, „lip service". Auch ein Großteil derer, die<br />
gegen die etablierte Psychiatrie auftreten, scheint sich bisher in<br />
1 Kraft 1964, zit. n. Braceland 19<strong>71</strong>, S. 243.<br />
2 Reimann 1967, S. 75 f.<br />
3 Sanford 1965, S. 1378.<br />
4 Bleuler 1969, elfte Aufl., S. 129—133.<br />
5 s. Blain 1959 und Lemkau 1959 im „AMERICAN HANDBOOK OF<br />
PSYCHIATRY".<br />
6 Dörken 1966, S. 133.