01.12.2012 Aufrufe

Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

74 Erich Wulff<br />

emotionalen Beziehungen fördert. Es wird also ein Bedingungszusammenhang<br />

vorausgesetzt zwischen den objektiven sozioökonomischen<br />

Bedingungen, dem Sozialisationsprozeß in der Familie und<br />

schließlich der Wahl der Abwehrmechanismen des Individuums, wobei<br />

jedesmal keine Kausalitäten in deterministischem Sinne, sondern<br />

Tendenzen, Trends wirksam sind, die in einer weit überzufälligen<br />

Wahrscheinlichkeit in eine bestimmte Richtung gehen: vom sozioökonomischen<br />

Milieu in Richtung bestimmter pathologischer Lernbedingungen<br />

im Familienrahmen und schließlich von diesen in Richtung<br />

auf den „soziopathischen Charakter" und das soziopathische<br />

Verhalten.<br />

Wie sieht das konkret aus?<br />

Unter den Bedingungen des „overcrowding" (Glueck) 35 wird die<br />

Strafe sehr häufig den Charakter einer affektiven Abfuhr und einer<br />

Notwehr der Eltern haben (Redl u. Winemann 46, S. 239 ff.). In dem<br />

gleichen Milieu fehlen aber auch differenzierte verbale Kommunikationsformen,<br />

die die Verarbeitung von emotionalen Spannungen<br />

erlauben würden (David 49, S. 132). Unter den sozioökonomischen Bedingungen<br />

der Unterklassen, die beruflich in einer besonders starken<br />

materiellen und hierarchischen Abhängigkeit leben und ständig von<br />

Arbeitslosigkeit bedroht sind, können sich die affektiven Spannungen<br />

kaum je im Feld ihrer Entstehung, d. h. am Arbeitsort artikulieren<br />

oder gar entladen (McKinley 47, S. 54—59). Ein zusätzlicher Spannungsfaktor<br />

ist noch die Gültigkeit der Mittelklasse-Normen (Short<br />

u. Strodtbeck) 29, die unter den genannten Bedingungen natürlich<br />

nicht zu erfüllen sind. Daraus erwächst ein starkes Schuldpotential,<br />

das aber bei der Struktur des <strong>für</strong> Soziopathen charakteristischen<br />

sadistischen, lückenhaften und unintegrierten Uber-Ich sich nur in<br />

irrationalen Ausbrüchen manifestieren kann. Feindseligkeit zwischen<br />

den Ehepartnern, sexuelle Unstimmigkeiten, die verbal nicht ausgetragen<br />

werden können, massive Machtphantasien beim Mann (Hoffmann<br />

48, S. 883), die seiner realen Ohnmacht in der Arbeitswelt entsprechen,<br />

führen zu einer Tendenz zur „Aggressionsverschiebung"<br />

vom Mann auf die Frau und von dieser auf das Kind (Kerr 49, Rainwater<br />

50> 50a, David 48, McKinley 47 u. a.). Die Aggressivität des Mannes<br />

45 Redl, Fritz, and David Winemann: Children who hate. New York<br />

1951, S. 230 ff.<br />

46 David, Gerson: Patterns of Social Functioning in Famüies with<br />

Marital and Parent-Child Problems. Toronto 1967.<br />

47 McKinley, Donald G.: Social Class and Famüy Life. New York 1964,<br />

S. 54—61.<br />

48 Hoffmann, Martin L.: Personality, Family Structure and Social<br />

Class as Antecedents of Parental Power Assertion. In: Child Development<br />

34 (1963), S. 869—884.<br />

49 Kerr, Madelaine: The People of Ship Street. London 1958.<br />

50 Rainwater, Lee, Richard P. Colemann, and Gerald Handel: Workingmans<br />

Wife. New York 1959.<br />

50a Rainwater, Lee: Famüy Design, Marital Sexuality, Family Size and<br />

Contraception. Chicago 1965.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!