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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Jura 191<br />

Verwaltung wird lediglich autorisiert, durch differenzierte Abwägung<br />

der miteinander kollidierenden Interessen zu einer Entscheidung<br />

zu kommen, die unter Berücksichtigung der vielfältigen Gegebenheiten<br />

des konkreten Einzelfalles die formelle und materiell<br />

gerechteste ist. Daraus folgt: Ermessensfragen werden zu Rechtsfragen"<br />

(22/23). Meines Erachtens ist dieser Standpunkt lebensfremd,<br />

denn die Entscheidung, ob das eine oder das andere gilt, kann in der<br />

Regel nur auf einem sehr schmalen Grat getroffen werden und ist<br />

somit kein taugliches Abgrenzungskriterium; daher besteht die große<br />

Gefahr, daß Subjektives den Ausschlag gibt.<br />

Alfred Dietel liefert den zweiten Aufsatz dieses Bandes mit dem<br />

Thema: „Demonstrationsfreiheit im Konflikt zwischen Radikalität<br />

und Legitimität". Dietel unternimmt den interessanten Versuch, den<br />

Begriff „Radikalität" im parlamentarischen Rechtsstaat zu klären.<br />

Radikalität bestimme sich vom Zentrum her und gehe bis zum<br />

Äußersten, wobei konstatiert wird, daß die Mitte keine konstante<br />

Größe sei, sondern die Mitte verschiebe sich je nachdem, ob ein Liberaler<br />

der deutschen Revolution, ein Demokrat oder ein Sozialdemokrat<br />

sie ausfindig mache (31/32). (Diese Ausführungen geben uns<br />

denn schon Anlaß zu der Hoffnung, daß sich in Zukunft die Mitte<br />

noch öfter und mehr verschieben wird!) Es muß nun festgestellt werden,<br />

ob die Zielsetzung radikaler Gruppen legitim ist oder nicht. Bei<br />

Demonstrationen entscheidet darüber die Polizei. „Sie hat dabei<br />

nicht das politische Fernziel, den ideologischen Hintergrund, sondern<br />

das aktuelle Nahziel, den konkreten Veranstaltungszweck, anzusehen.<br />

Sie hat außerdem die Mittel zu betrachten, die zur Erreichung des<br />

aktuellen Nahziels eingesetzt werden bzw. eingesetzt werden sollen"<br />

(34). An dieser Stelle kommt der interessanteste Sprung in den<br />

Überlegungen von Dietel: Da nun einmal die Gründe und Ziele <strong>für</strong><br />

eine Demonstration nicht hinterfragt werden, wird hier in einem<br />

lapidaren Satz folgendes präjudiziert: „Radikale Gruppen werden<br />

geneigt sein, radikale Mittel einzusetzen" (34). Nach den Mitteln, die<br />

bei einer Demonstration eingesetzt werden, wird dann mit Hilfe der<br />

„Sozialadäquanz" entschieden, ob eine Demonstration verboten werden<br />

müsse oder nicht. Dabei muß sich die Entscheidung eines Verbotes<br />

danach richten, ob mit den Mitteln der Demonstration Rechtsgüter<br />

gefährdet werden, die wertmäßig höher einzustufen sind als<br />

das Demonstrations- und Versammlungsrecht. Wie will Dietel das<br />

aber machen, wenn er erstens darauf verzichtet, die Gründe <strong>für</strong> eine<br />

Demonstration zu hinterfragen, die es doch erst ermöglichen, die<br />

Rechtsgüter zu erkennen, <strong>für</strong> die sich die Demonstranten einsetzen,<br />

und wenn er zweitens nicht die Wertskala nennt, mit der höher oder<br />

niedriger eingestuft wird? All das bleibt völlig unklar. Obwohl man<br />

sich heute in der Rechtswissenschaft um deutliche Abgrenzungskriterien<br />

auf allen Rechtsgebieten bemüht, enthebt sich Dietel elegant<br />

dieser Pflicht. <strong>Das</strong> führt dann natürlich dazu, daß er die Zwitterstellung<br />

mancher Polizisten im Wahlkampf 1969 als gegeben hinnimmt:<br />

Sie verurteilen innerlich die Ziele, die die NPD verfolgt, aber<br />

nach den Grundsätzen des Rechtsstaates mußten sie auch solche Ver-

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