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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Ökonomie 205<br />

Slums in Bremen", „Armut in Wiesbaden", „Armut auf dem Lande";<br />

in Analysen (Teil II), in denen z. B. das Verhältnis von „Armut und<br />

Krankheit", „Armut und Bildung", „Armut und Kriminalität" dargestellt<br />

wird; in der Aufzeichnung von Familiengeschichten (Teil III)<br />

nach dem Muster der Bottroper Protokolle und mit Dokumenten<br />

(Teil IV). Insbesondere die Teile I und II enthalten eine materialreiche<br />

Darstellung der Lage der deklassierten Proletarier, in der die<br />

wesentlichsten empirischen Untersuchungen referiert und interpretiert<br />

werden. J. Roth gelingt dabei die sozialpsychologische Analyse<br />

deutlich besser als die Einordnung seines Forschungsgegenstandes in<br />

marxistische Kategorien. Wird einerseits Armut im adäquaten Bezugssystem<br />

kapitalistischer Produktionsverhältnisse interpretiert, so<br />

verliert andererseits diese Darstellung an analytischer Schärfe durch<br />

eine Häufung recht dubioser Formulierungen. Da gibt es einen<br />

„Grundwiderspruch zwischen Kapital und Menschenwürde" (76),<br />

eine „Clique von Grundbesitzern und Grundstücksspekulanten" (77),<br />

„die Kaste der Besitzenden" (82), die, wenn von der Verwendung<br />

des gleichen Begriffs auf einem gleichen Inhalt geschlossen werden<br />

darf, wesentliches mit der „Lehrerkaste" (108) gemein hat.<br />

Mag auch deren Verwendung und den moralisierenden Formulierungen<br />

eine agitatorische Intention zugrunde liegen, so verfälschen<br />

sie doch leicht die Analyse. Wenn etwa von den „skandalösen Bedingungen<br />

hier in der BRD" (49) gesprochen wird oder davon, daß es<br />

„unverständlich und unbegreiflich (sei), daß in der BRD Familien<br />

mit mehr als 10 Kindern in einem oder 2 Räumen von gerade 20 qm<br />

leben müssen" (95), assoziiert man eher Caritas als Beseitigung des<br />

Kapitalverhältnisses, sieht Armut eher als moralisches Verschulden<br />

böser Mächte denn als notwendige Folge kapitalistischer Produktionsverhältnisse.<br />

Die mangelnde Präzision der marxistischen Analyse dürfte auch<br />

Grund da<strong>für</strong> sein, daß Roth eine exakte Bestimmung des Verhältnisses<br />

von deklassiertem Proletariat und Arbeiterklasse nicht geleistet<br />

hat, wo<strong>für</strong> ein letztes Zitat stehen mag: „Der Arme ist von<br />

öffentlicher Fürsorge immer oder teilweise abhängig, er erhält nie<br />

Möglichkeiten, sich wirtschaftlich selbständig zu machen, frei von<br />

Ausbeutung zu werden (Frei von Ausbeutung ist auch nicht der<br />

Lohnabhängige, der von öffentlicher Fürsorge unabhängig ist, D. D.).<br />

... Je erbarmungsloser das Individuum in das kapitalistische System<br />

gepreßt wird und je brutaler die Auswirkungen des Kapitalismus<br />

<strong>für</strong> die Menschen werden, um so mehr Menschen wird es geben, die<br />

in Armut leben müssen. Diejenigen, die der Kapitalismus in der BRD<br />

jetzt schon arm und elend gemacht hat und die Armut Tag <strong>für</strong> Tag<br />

erleben, sind das Proletariat der siebziger Jahre, sie sind das Proletariat<br />

der Zukunft" (69). <strong>Das</strong> Proletariat der siebziger Jahre wie das<br />

der Zukunft besteht keineswegs nur aus den deklassierten Proletariern,<br />

und die Lage des Proletariats ist nicht zureichend durch die<br />

platt auf der Hand liegende Vorstellung von der Lohnverelendung<br />

zu bestimmen, wie dies bei Roth erscheint. Hierzu bedürfte es einer<br />

gründlicheren Aneignung der Marxschen Kategorie der Verelen-

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