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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Heinz-Harald Abholz und Irma Gleiss<br />

Zur Frage der Anpassung in der<br />

psychiatrischen Therapie —<br />

dargestellt am Beispiel des Buches „Die negierte <strong>Institut</strong>ion"*<br />

I.<br />

Funktion der klassischen Psychiatrie, wie sie sich noch heute in<br />

den psychiatrischen Anstalten fast durchgehend zeigt, ist nicht die<br />

Integration des Kranken in die Gesellschaft, ist nicht die Anpassung<br />

an den gesellschaftlichen Prozeß der Arbeit. Die klassische Psychiatrie<br />

sperrt den Patienten aus und sperrt ihn in die — äußerlich teilweise<br />

idyllisch anmutenden — „Irrenanstalten" ein. Dabei trägt die<br />

Organisation der Anstalt dazu bei, daß der „Wahnsinn", der zur Einweisung<br />

geführt hat, erst gefestigt wird, daß das Krankheitsbild des<br />

chronisch Kranken erst entsteht.<br />

Gegen diese Psychiatrie wurden in den letzten fünfzehn Jahren<br />

neue Konzepte einer „modernen" Psychiatrie entwickelt. Charakteristisches<br />

und zugleich beeindruckendes Beispiel dieser neuen Psychiatrie<br />

ist die Therapeutische Gemeinschaft. Die Idee der therapeutischen<br />

Gemeinschaft wurde auf der Erkenntnis entwickelt, daß die<br />

klassisch psychiatrische Anstalt durch ihre Organisation und ihr<br />

Wesen den Kranken in seiner Krankheit festigt, anstelle ihn zu<br />

therapieren. Wurde der Patient in der klassischen Anstalt eingesperrt<br />

und kümmerte sich außer bei „Blitzvisiten" keiner mehr um<br />

ihn, wurde er zum willenlosen Objekt erklärt, so ist es gerade das<br />

Ziel der Therapeutischen Gemeinschaft, ihn nicht einzusperren, den<br />

Kontakt zur Außenwelt zu fördern, ihn als eigenständiges Individuum<br />

zu behandeln. So geht es in der Therapeutischen Gemeinschaft<br />

darum, dem Patienten schrittweise Verantwortung zu übergeben,<br />

ihn eigenständig auch handeln zu lassen und somit an Identität<br />

gewinnen zu lassen. Entsprechend gehen auch die Bemühungen<br />

dahin, autoritäre Strukturen in der Gemeinschaft der Patienten, des<br />

Pflegepersonals und der Ärzte abzubauen, gemeinsam individuelle<br />

und allgemeine Probleme der Station zu diskutieren und anzugehen.<br />

Die Erfolge dieses neuen therapeutischen Weges sind dann auch<br />

entsprechend frappierend: „Unheilbar" Kranke werden teilweise geheilt<br />

oder zumindest in beachtlichem Maße in ihrem Gesundheitszustand<br />

gebessert.<br />

* Basaglia, Franco (Hrsg): Die negierte <strong>Institut</strong>ion oder die Gemeinschaft<br />

der Ausgeschlossenen. — Ein Experiment der psychiatrischen Klinik<br />

in Görz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 19<strong>71</strong> (381 S., kart., 20,— DM).<br />

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