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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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84 Heinz-Harald, Abholz, Irma Gleiss<br />

Die falschen Vorstellungen Basaglias hinsichtlich der Entwicklung<br />

von revolutionärem Bewußtsein sind im Rahmen der <strong>Theorie</strong> der<br />

„eindimensionalen Gesellschaft" durchaus schlüssig. Denn hier wird<br />

ja der kapitalistischen Gesellschaft die Fähigkeit angedichtet, die<br />

Individuen allumfassend zu manipulieren und gleichzuschalten. Sofern<br />

also der Mensch im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß integriert<br />

ist, kann er sich nach dieser <strong>Theorie</strong> nicht im geringsten der Manipulation<br />

entziehen. Widersprüche sind <strong>für</strong> ihn, aufgrund der verinnerlichten<br />

Normen, nicht mehr erkennbar; damit fällt auch die<br />

Möglichkeit der Entwicklung eines wirklichen Klassenbewußtseins<br />

fort.<br />

Die Vorstellung, mit Hilfe oder im Rahmen der psychiatrischen<br />

Therapie die psychisch Kranken zu den Kämpfern <strong>für</strong> eine veränderte<br />

Welt zu machen, zeugt nicht nur von einer fehlerhaften<br />

Gesellschaftstheorie, sondern auch von psychiatrischer Naivität.<br />

Denn die Annahme ist in der Tat fragwürdig, daß gerade diejenigen,<br />

die durch ihre Krankheit wohl eindringlich bewiesen haben, daß sie<br />

einer Auseinandersetzung mit ihrer „feindlichen" Umwelt am wenigsten<br />

gewachsen sind, durch die Therapie in die Lage versetzt werden<br />

sollen, eine solche Auseinandersetzung besser als alle anderen Gruppen<br />

der Gesellschaft führen zu können. Auch der optimistischste<br />

Therapeut würde sich wohl nicht so überschätzen. Damit soll nicht<br />

gesagt werden, daß der Therapierte, an seinen Arbeitsplatz, in seinen<br />

Lebensbereich zurückgekehrt, nicht auch politisch arbeiten<br />

könnte und dabei vielleicht auch durch die Erfahrung seiner Krankheit<br />

zusätzlich motiviert wird. Nur liegt hier die Anleitung zu politischer<br />

Arbeit nicht primär in den Händen des Therapeuten, sondern<br />

in den Händen der entsprechenden politischen Organisationen.<br />

Nur auf dem Hintergrund der Gesellschaftstheorie Basaglias läßt<br />

sich schließlich dessen Ablehnung von Anpassung als Therapieziel<br />

begreifen. Sein Gesellschaftsbild setzt — wie bereits gezeigt — eine<br />

dem Kapital widerspruchsfrei unterworfene Welt voraus. So gesehen<br />

kann es dann auch nur Anpassung im Sinne der herrschenden<br />

Klasse geben; überhaupt etwas in der Gesellschaft tun, heißt selber<br />

schon sich unterwerfen. Ferner fällt im Konzept Basaglias auf, daß<br />

immer nur von Anpassung an Werte, Normen und Rollen die Rede<br />

ist. Die materielle Produktion und Reproduktion wird gedanklich<br />

ausgeklammert und somit gar nicht als Problem gesehen. Der einseitig<br />

geführte Kampf gegen „Anpassung" im Überbaubereich, im<br />

Bewußtsein, beeinflußt Basaglias Vorstellungen darüber, wie gesellschaftliche<br />

Veränderungen vor sich gehen sollen.<br />

Die Annahme, Randgruppen oder individuelle Außenseiter stellten<br />

die Triebkraft sozialer Revolutionen dar, läßt sich natürlich nur<br />

aufrechterhalten, wenn man von der Bewegung an der materiellen<br />

Basis der Gesellschaft abstrahiert. Dies tun die Autoren allerdings<br />

konsequent: Es sind Einsichten, Willensprozesse, Verweigerung und<br />

umdefinierte Rollen, die das Wesen gesellschaftlicher Veränderungen<br />

ausmachen. Selbst die Zugehörigkeit zur „revolutionären Klasse"<br />

der „Ausgeschlossenen" bestimmt sich allein durch subjektive Krite-

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