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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Soziale Rolle und politische Emanzipation 111<br />

kann — nicht weil es an der marxistischen Überzeugung fehlen würde,<br />

sondern weil — und hierin liegt das Paradox seiner Position —<br />

die Gesellschaft jenseits der Negation soziologischer Kategorien selbst<br />

nie anders als nur in der vollständigen ökonomischen Determiniertheit<br />

aller gesellschaftlichen Prozesse durch den — und deren Gleichgültigkeit<br />

gegenüber dem — Warencharakter der Arbeit als rein<br />

abstrakter Tätigkeit in den Blick gerät. In dieser aufs Ökonomische<br />

reduzierten Perspektive freilich gerät dann die Kritik an soziologischen<br />

Theoremen selbst unter den Schatten des von Furth kritisierten<br />

Funktionalismus und kann von daher nicht mehr die wirkliche<br />

Gestalt der von Menschen produzierten Produktionsverhältnisse erkennen.<br />

Soziologische Bemühungen um solche Erkenntnis mögen im<br />

höchsten Grade unbefriedigend sein; aber sie versuchen gegenüber<br />

diesem wie gegenüber dem Positivismus in den eigenen Reihen immerhin,<br />

den Menschen nicht nur als Opfer, sondern auch als Ursprung<br />

seiner <strong>Institut</strong>ionen zu verstehen, als deren Subjekt und Objekt,<br />

Produzent und Produkt zugleich 8 .<br />

<strong>Das</strong> gilt zumal <strong>für</strong> die Rollentheorie, die freilich, wie jede die<br />

Subjektivität mit einbeziehende soziologische Kategorisierung, auch<br />

etwas eigentümlich Verletzendes hat: ein Moment der Inanspruchnahme<br />

auch der Persönlichkeitssphäre noch, gegen das sich das auf<br />

einen „inneren Kreiselkompaß" 4 hin sozialisierte bürgerliche Individuum<br />

fast instinktiv zur Wehr setzt. <strong>Das</strong> mag die allergische Abwehr<br />

erklären, mit der Furth auf die Idee der Rollenhaftigkeit des menschlichen<br />

Verhaltens reagiert. An dieser Abwehr zeigt sich, daß, was der<br />

Rollentheorie entgegengehalten wird, „das Schwanken zwischen dem<br />

entfremdeten Sehnsuchtsbild der Kleistschen Marionette und der<br />

unendlichen Reflexion der ironischen Distanz zwischen Person und<br />

Rolle" 5 , nur die Projektion der Existenz des bürgerlichen Intellek-<br />

3 Hans Joas hat in einem ausführlichen Bericht „Zur gegenwärtigen<br />

Lage der Rollentheorie" diese Kritik folgendermaßen präzisiert: „Die Position,<br />

die Habermas an Marx wahrscheinlich zu Unrecht angreift — nämlich<br />

die einer Reduktion von kommunikativem auf instrumentales Handeln<br />

— wird damit gewissermaßen erst nachträglich besetzt. Am krassesten<br />

finde ich dies bei P. Furth, der von der richtigen Einsicht ausgeht,<br />

daß in Primitivgesellschaften das Verhältnis der Menschen zur Natur<br />

projektiv als Interaktion gedeutet wurde (,die Götter der Mythologie sind<br />

die Natur in Rollen'), daraus nun aber schließt, daß die Anwendung des<br />

Interaktionsbegriffs auf die Verhältnisse der Menschen zueinander mit<br />

der weiteren Entwicklung der Produktivkräfte .archaisch' werde: damit<br />

wird unkritisch der Entwicklung der Produktivkräfte zugerechnet, was<br />

als Zerstörung der Öffentlichkeit und Deformation der Kommunikationsbeziehungen<br />

zu zweckrationalen in die Kapitalismuskritik einzugehen<br />

hätte. So endet diese ,linke' Kritik eben dort, wo die Positivisten immer<br />

schon waren." (Unveröffentlichtes Manuskript, <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Soziologie der<br />

FU, Oktober 19<strong>71</strong>, S. 42/43.)<br />

4 Dieser Ausdrude stammt von David Riesman, Die einsame Masse,<br />

Hamburg 1958.<br />

5 P. Furth, op. cit., S. 502/503.

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