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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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140 Besprechungen<br />

lieh gerade das tragende Element, heraus und ist insofern eine abstrakte<br />

Widerspiegelung" (41). Nur in diesem präzisen Sinn läßt sich<br />

z. B. von der Griechenland-Illusion der deutschen idealistischen Kultur<br />

sprechen: der Harmonisierung der griechischen Sklavenhalterkultur<br />

zur goldenen Kindheit der europäischen Geschichte. — Wird<br />

Illusion als „abstrakte Widerspiegelung in der Klassengesellschaft"<br />

gefaßt, so ist Humanität — die zweite Form mimetischer Abstraktion<br />

— „abstrakte Antizipation in der kapitalistischen Klassengesellschaft".<br />

Eudaimonie wird hier zur Kategorie der bürgerlichen Privatheit<br />

„in Abstraktion vom gesellschaftlichen Arbeitsprozeß". Die geschichtliche<br />

Bewegung, die Tomberg unter dem Begriff der Humanität<br />

faßt, ist der der französischen Revolution folgende und von ihr<br />

ausgelöste ideologische Prozeß der Entwicklung der bürgerlichen<br />

Intelligenz in Deutschland von der sog. „Klassik" zur „Romantik".<br />

War in der deutschen Klassik Humanität noch als gesellschaftlich<br />

und historisch realisierbar konzipiert, so wird in der romantischen<br />

Bewegung, als Reflex der sich entfaltenden kapitalistischen Warenproduktion,<br />

Humanität zum Ideal „jenseits jeder gesellschaftlichen<br />

Wirklichkeit" degradiert, Kunst zur Antizipation eines „von aller<br />

sinnlichen Wirklichkeit abgelösten (...) absoluten Ideals" (53). Damit<br />

aber hat Kunst ein Absolutum an Abstraktion erreicht, das zur<br />

Selbstaufhebung der Kunst führen muß. „Die romantische Weltanschauung<br />

bedeutet in ihrer Konsequenz die Liquidation der Kunst"<br />

(53). Der Begriff der Negation beschreibt den Zustand der Kunst in<br />

der Moderne: Negation als Abstraktion der Parteilichkeit in der<br />

„proletarisierten kapitalistischen Klassengesellschaft". Für den bürgerlichen<br />

Künstler kann in dieser Gesellschaft „die Eudaimonie keine<br />

reale Perspektive mehr sein". Insofern ihm die Existenz des Proletariats<br />

„nur als ein integrierendes Moment der Bourgeoisgesellschaft<br />

selbst erscheint", ist kommunistische Parteilichkeit ihm nicht mehr<br />

als konkrete Alternative erfahrbar. Die moderne bürgerliche Kunst<br />

geht so „aus der Erfahrung eines endgültigen Scheiterns der freisetzenden<br />

Aktion hervor" (67). <strong>Das</strong> ästhetische Subjekt erfährt sich<br />

lediglich als absolut auf sich selbst zurückgeworfen. Die Attitüde der<br />

Negation wird zur letzten Möglichkeit seiner Selbstbestätigung. Die<br />

zusammengebrochene Bourgeoisgesellschaft bleibt ihm „ein Trümmerhaufen,<br />

aus dem sich eine neue Wirklichkeit der Eudaimonie nie<br />

mehr bilden kann" (67). — In der sozialgeschichtlichen Erfahrung des<br />

ästhetischen Subjekts sind die materiellen Gründe <strong>für</strong> Formalismus,<br />

Abstraktion und Subjektivismus der spätbürgerlichen Kunst aufzusuchen.<br />

Die materielle Erfahrung des bürgerlichen Bewußtseins ist<br />

es, die Kunst in letzter Konsequenz zur „Negation der gesamten<br />

Wirklichkeit" treibt: gesellschaftliche Praxis kann nur noch „als bar<br />

jeden Sinnes" aufgenommen werden (68). Dieser Prozeß führt konsequent<br />

zur Negation der Gegenständlichkeit des Wirklichen. Kunst<br />

hebt sich in ihrem Grundcharakter als Widerspiegelung auf. Aus<br />

ihren Deformationen sind so die Deformationen des gesellschaftlichen<br />

Lebens abzulesen: moderne bürgerliche Kunst repräsentiert „die<br />

Zerstörung des Menschen als des zoon logon echon" (79).

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