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Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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116 Hans Peter Dreitzel<br />

seits aufgrund des Zwangs zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft<br />

und der fremden Aneignung des Mehrwerts die Rahmenbedingungen<br />

<strong>für</strong> ein sich in soziales Handeln umsetzendes Bewußtsein. Darüber<br />

hinaus aber hat der normative Charakter der jeweiligen Rollen eine<br />

determinierende Funktion 12 . Eine konkrete Rollenanalyse kann zeigen,<br />

welche Rollen eine besonders starke Identifikation abverlangen<br />

und welche ein größeres oder geringeres Maß an Distanz ermöglichen<br />

oder noch zulassen: je geringer die Identifikation und je größer der<br />

Spielraum der Distanz, desto eher bleibt die Rolle auch verfügbar,<br />

das heißt, wählbar und veränderbar, desto weniger wird das Bewußtsein<br />

des Rollenträgers von den herrschenden Normen geprägt<br />

sein. Dabei kommt der Rollentheorie zustatten, daß sie den Blick sowohl<br />

auf den individuellen Rollenhaushalt lenkt als auch den Charakter<br />

und den Umfang des einem Individuum in seiner je spezifischen<br />

Klassenlage zur Verfügung stehenden Rollenreservoirs untersuchen<br />

kann. Denn beide zusammen, Rollenhaushalt und Rollenreservoir,<br />

sind neben der inneren Struktur der Rollen ein Index <strong>für</strong><br />

den Freiheitsspielraum des Individuums, der seinerseits das Bewußtsein<br />

mit prägt. Insoweit ist die Rollentheorie in der Tat auch<br />

differenzierte Wissenssoziologie. Die These Furths, daß es sich um<br />

„eine unbegrenzte subjektive Differenzierung" handele, die das „immer<br />

noch wirksame <strong>kritische</strong> Problem von Basis und Überbau . . .<br />

einmal mehr neutralisiert", ist allerdings nur verständlich auf dem<br />

Hintergrund seiner Behauptung, daß in der Rollentheorie die Rollenstruktur<br />

Basisfunktionen übernimmt 13 . <strong>Das</strong> ist ein Mißverständnis:<br />

12 Es sind also drei Faktoren im Spiel: erstens die vorgängige, aber nie<br />

restlos gelingende Aneignung der Produktionsverhältnisse im Sozialisationsprozeß;<br />

zweitens der Charakter der Arbeit als Ware im kapitalistischen<br />

Tauschprozeß; und drittens der normative Charakter der Rollenerwartungen,<br />

der den Produktions- und Reproduktionsprozeß ebenso wie<br />

den Wiederaneignungsprozeß der produzierten Waren wie der reproduzierten<br />

gesellschaftlichen Verhältnisse steuert. Bei Lothar Hack heißt es<br />

dazu: „Produktion (kann) nicht ausschließlich, ja nicht einmal in erster<br />

Linie als Produktion von nützlichen Gütern begriffen werden, sondern ist<br />

zuallererst Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse. Die .Aneignung'<br />

dieser gesellschaftlichen Verhältnisse — und das heißt vor allem ihre<br />

kognitive und affektive Bewältigung — ist aber als Aneignung der Produkte<br />

auch nicht im Ansatz zu erfassen" (op. cit., S. 13). Sie ist aber m. E.<br />

zu verstehen als vermittelt durch den normativen Charakter der sozialen<br />

Rollen, womit dann freilich Reproduktion und Aneignung des Reproduzierten<br />

zusammenfiele und nur analytisch in einer differenzierten Untersuchung<br />

des Rollenverhaltens noch getrennt werden könnte. Zur ökonomischen<br />

Formbestimmtheit der Arbeit, die sich konkret in materiellen<br />

Situationsbedingungen des Rollenverhaltens niederschlägt, kommen also<br />

als subjektiver Faktor der Bewußtseinskonstitution noch die Aneignung<br />

der gesellschaftlichen Verhältnisse durch Sozialisation (Erlernen des Rollenhandelns)<br />

einerseits und andererseits die Identifikation mit, beziehungsweise<br />

Distanz zu, den Rollennormen, die selbst nur die verdinglichte<br />

Gestalt der Produktionsverhältnisse sind, hinzu.<br />

13 P. Furth, op. cit., S. 516.

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