Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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52 Rainer Seidel<br />
eines Psychiaters oder eines in der Erziehungsberatung tätigen Psychologen<br />
nur sehr begrenzt wirksam sein können gegenüber einem<br />
ständig wirkenden ungünstigen Einfluß des Elternhauses. Zwar kann<br />
man in einigen Fällen effektiven Einfluß nehmen auf die Bezugspersonen<br />
selbst, z. B. die Eltern eines gefährdeten Kindes, aber in der<br />
Regel hängen auch die pathogenen Strukturen von Müttern und Vätern<br />
mit umfassenderen Bedingungen zusammen. Ähnliches gilt <strong>für</strong><br />
die Schule. Beispielsweise setzt der Versuch, durch geeignete Unterrichtsbedingungen<br />
gegenüber Verhaltens- und Lernstörungen der<br />
Kinder präventiv zu wirken — etwa wie in einzelnen Projekten, die<br />
in den USA durchgeführt wurden — eine günstige Schulsituation<br />
voraus (kleine Klassen u. a.).<br />
7.3. Sonstige Lebensbedingungen<br />
Ein Hauptproblem stellen die erwähnten ökonomischen und sozialen<br />
Barrieren dar, die zu ungünstigen Gesundheitsverhalten führen.<br />
Gerade <strong>für</strong> die Erzielung einer primären Prävention wirken sich<br />
solche Barrieren negativ aus, da die Inanspruchnahme von Beratungstätigkeit<br />
besonders von solchen Faktoren betroffen sein dürfte.<br />
Von Wichtigkeit, wenn auch m.W. bisher nicht empirisch untersucht,<br />
dürfte die Bedeutung objektiver sozialer Sicherheit <strong>für</strong> psychische<br />
Stabilität sein. Gegenüber tatsächlicher sozialer Unsicherheit dürfte<br />
z. B. auch ein noch so schönes und vertrauensvolles Arzt-Patient-<br />
Verhältnis nur wenig an Stabilisierung erreichen können.<br />
8. Kriterien <strong>für</strong> erfolgreiche Prävention<br />
8.1. Allgemeines<br />
Zur Beurteilung der psychiatrischen Versorgung kann man Struktur,<br />
Prozeß und Ergebnis heranziehen 125 . Die ersten beiden Kriterien<br />
wurden hinsichtlich präventiver Wirkung bereits diskutiert, die<br />
Struktur als „präventiv orientiertes psychiatrisches Versorgungssystem",<br />
der Prozeß als „gezielte präventive Aktivität". <strong>Das</strong> letzte<br />
Kriterium ist der Krankenstand. Allgemein kann die Wirkung nichtspezifischer<br />
und spezifischer Prävention dann als optimal angesehen<br />
werden, wenn es möglichst wenige Krankheitsfälle gibt, wenn die<br />
einzelnen Erkrankungen von möglichst kurzer Dauer sind und einen<br />
möglichst geringen Schweregrad aufweisen. Allerdings muß man den<br />
Stellenwert von empirischen Daten — falls man solche zuverlässig<br />
bestimmen kann — richtig beurteilen. Es gibt zweifellos Grunderfordernisse,<br />
die nicht erst diskutiert werden müssen, und es gibt<br />
Maßnahmen, deren Notwendigkeit nicht erst durch spezielle empirische<br />
Untersuchungen belegt werden müssen: so sollte das Recht<br />
aller Personen auf eine angemessene psychiatrische Versorgung, z. B.<br />
auf menschenwürdige Behandlung, selbstverständlich sein; in diesem<br />
Sinne ist es z. B. auch ohne speziell erhobene Daten klar, daß in Anstalten<br />
etwa das Verhältnis von einem Arzt auf 100 Patienten einer<br />
125 vgl. Zusman/Ross 1969.