Das Argument 71 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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172 Besprechungen<br />
Begriffes. Teilweise verwendet Erikson seit zwanzig Jahren dieselben<br />
Formulierungen, ohne daß die Grenzen zwischen individualpsychologischer,<br />
sozialpsychologischer, soziologischer und philosophischer<br />
Bedeutungsinterferenz inzwischen klarer geworden wären.<br />
Ganz zu schweigen vom Stellenwert innerhalb der psychoanalytischen<br />
Pathologie. Ekkehard Ruebsam (Berlin)<br />
Jones, Ernest: Zur P s y c h o a n a l y s e d e r c h r i s t l i c h e n<br />
Religion. Nachwort von Helmut Dahmer. Literatur der Psychoanalyse,<br />
hrsg. von Alexander Mitscherlich. Suhrkamp Verlag,<br />
Frankfurt 1970 (158 S., brosch., 14,— DM).<br />
Dieser Band vereinigt vier Essays des berühmten Psychoanalytikers<br />
aus den Jahren zwischen 1913 und 1926. Als Religionspsychologe<br />
beschäftigt sich Jones mit der Analyse der christlichen Religion, die<br />
gefüllt sei mit ursprünglich sexuellen Vorstellungen, wie wir sie<br />
auch in antiken Mythologien, bei „Primitiven" und in der Vorstellungswelt<br />
von Kindern finden. Als Vertreter der Psychoanalyse ist<br />
er an der Auswirkung christlicher Motive in der Phantasie des Kranken,<br />
hier aber mehr an unserer von diesen Motiven bestimmten Kultur<br />
interessiert. Im Nachwort bezeichnet Dahmer diese Aufsätze als<br />
zu den bedeutendsten der psychoanalytischen Religionskritik gehörig.<br />
Die Aufgabe dieser Kritik setzt nach Jones ein bei: 1. Beziehungen<br />
zu einem übernatürlichen geistigen Prinzip, 2. Gefühlsproblemen, die<br />
mit dem Tod zusammenhängen, 3. Funktionen des „Über-Ich", 4. Verbindungen<br />
zwischen Religion und Moral, 5. Gefühlen der Unzulänglichkeit<br />
gegenüber dem Leben.<br />
Der profundeste Beitrag in dem Band ist: „Die Empfängnis der<br />
Jungfrau Maria durch das Ohr", der über die Beziehung zwischen<br />
Kunst und Religion handelt. Danach bedient sich die religiöse Kunst,<br />
abhängig von kirchlichen Dogmen, ähnlicher Vorstellungen, wie sie<br />
in den kindlichen Sexualphantasien zu finden sind. Jones deutet die<br />
Identität des Ohres als Vagina und des Engels Hauch als Samen. Eine<br />
Menge ähnlichen Materials aus nichtchristlicher Umgebung wird<br />
außerdem angeführt. „Die Religion hat sich stets in irgendeiner Form<br />
der Kunst bedient, und sie muß es tun, denn die Inzestwünsche bilden<br />
ihre Phantasien ausnahmslos aus dem Material, das die Erinnerung<br />
an die koprophilen Interessen der Kindheit liefert; das ist der<br />
wahre Sinn des Satzes: ,Die Kunst ist die Dienerin der Religion'"<br />
(128). Dahmer versucht im Nachwort die Religionskritik der Psychoanalyse<br />
grundsätzlich als historisch-materialistisch zu sehen. „Der<br />
Mensch macht die Religion — die Götter sind Projektionen, Wunschbilder<br />
von Menschen, an denen unter den sozialen Lebensverhältnissen,<br />
in denen sie eingespannt sind, so wenig Göttliches ist, daß sie die<br />
eigenen, unterdrückten Potenzen, die den Himmlischen Glanz und<br />
Leben verleihen, in ihren übermenschlichen Idealen nicht wiedererkennen"<br />
(146).