193. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20833<br />
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse<br />
(A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die dar. Im Gegensatz zu allen bisherigen Untersuchungs- (C)<br />
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre ausschüssen vergangener Legislaturperioden erfolgte<br />
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. erstmals die gesamte Beweisaufnahme in nichtöffentli-<br />
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen<br />
Karl Lamers für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.<br />
cher <strong>Sitzung</strong>. Die Vernehmung von Zeugen fand ausnahmslos<br />
nichtöffentlich statt und war darüber hinaus<br />
vielfach als „Geheim“ eingestuft. Ich freue mich, dass es<br />
(Beifall bei der CDU/CSU)<br />
uns dennoch gelungen ist, den ganzen Schlussbericht der<br />
Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Ich bedanke<br />
mich bei allen, die dies möglich gemacht haben.<br />
Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU):<br />
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im<br />
Oktober 2006 berichtete Murat Kurnaz in einem Interview<br />
erstmals öffentlich über eine Misshandlung durch<br />
zwei deutsche Soldaten des Kommandos der Spezialkräfte.<br />
Diese Tat, so Herr Kurnaz, hätte Anfang 2002 in<br />
einem US-Gefangenenlager in Kandahar in Afghanistan<br />
stattgefunden.<br />
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist eine<br />
Parlamentsarmee. Das führt auf der einen Seite zu einem<br />
Informationsanspruch des Deutschen <strong>Bundestag</strong>es. Auf<br />
der anderen Seite hat das Parlament gerade aus diesem<br />
Grund jedoch auch eine besondere Verantwortung gegenüber<br />
den Streitkräften.<br />
Als Abgeordnete war es daher unsere Pflicht, uns der<br />
Vorwürfe gegen deutsche Soldaten anzunehmen. „Unsere<br />
Pflichten, das sind die Rechte anderer auf uns“, sagt<br />
Friedrich Nietzsche.<br />
Jetzt, nach Abschluss der Untersuchungen, haben das<br />
KSK und alle anderen Truppenteile der Bundeswehr einen<br />
Anspruch auf die Mitteilung des Ergebnisses an die<br />
Öffentlichkeit. Wir dürfen schließlich nicht vergessen,<br />
dass auch die Anschuldigungen öffentlich erhoben wurden.<br />
Aus diesem Grund, meine Damen und Herren, bin<br />
ich sehr froh darüber, dass ich Ihnen als Vorsitzender des<br />
Untersuchungsausschusses heute gemeinsam mit meinen<br />
Kolleginnen und Kollegen den Abschlussbericht vorstellen<br />
kann. Dieser Bericht ist in seiner Gesamtheit der Öffentlichkeit<br />
zugänglich.<br />
Der Untersuchungsausschuss „Murat Kurnaz“ hat<br />
insgesamt 22 Monate, vom 8. November 2006 bis zum<br />
18. September 2008, am Untersuchungsauftrag gearbeitet.<br />
Wir haben 24-mal getagt, 17 Beweisaufnahmen fanden<br />
statt, insgesamt wurden 49 Zeugen befragt und gehört.<br />
Allein die Befragungen dauerten circa 74 Stunden.<br />
Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses haben<br />
45 Aktenordner mit rund 23 000 Seiten Beweismaterial<br />
durchgearbeitet, das als „geheim“ eingestuft war. Hinzu<br />
kamen weitere 40 Aktenordner mit circa 20 400 Blatt<br />
nicht geheimen Materials.<br />
Unabhängig von diesen statistischen Fakten stellt der<br />
Bericht jedoch in anderer Hinsicht eine Besonderheit<br />
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten<br />
der SPD und des Abg. Winfried<br />
Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])<br />
Dies alles diente dazu, zwei Aufgaben zu erfüllen.<br />
Zum Ersten ging es um die Vorwürfe der Misshandlung<br />
Murat Kurnaź durch deutsche KSK-Soldaten im Gefangenenlager<br />
in Kandahar im Jahre 2002. Zum Zweiten<br />
ging es darum, den Einsatz des KSK in Afghanistan im<br />
Ganzen zu untersuchen.<br />
Zu welchen Ergebnissen sind wir gelangt? Die Mehrheit<br />
des Ausschusses hat festgestellt, dass der von Murat<br />
Kurnaz behauptete Tathergang nicht bewiesen werden<br />
konnte. Ebenso wenig wurde aber auch der Nachweis für<br />
das Gegenteil geführt. Fest steht, dass letztlich der Beweis<br />
für eine Misshandlung von Murat Kurnaz nicht erbracht<br />
werden konnte.<br />
Der Verteidigungsausschuss war daher gehalten, den An dieser Stelle möchte ich ergänzen, dass die Staats-<br />
Misshandlungsvorwürfen nachzugehen. Er hat sich desanwaltschaft das Verfahren im Mai dieses Jahres endgülhalb<br />
als Untersuchungsausschuss konstituiert. Worum tig eingestellt hat, da keine ausreichenden Beweise vor-<br />
(B)<br />
geht es dabei? Aufgabe und Befugnis eines Parlamentarischen<br />
Untersuchungsausschusses ist es nicht, ein strafrechtliches<br />
Verfahren einzuleiten. Das ist Aufgabe der<br />
Staatsanwaltschaft. Unsere Aufgabe bestand vielmehr in<br />
der politischen Aufarbeitung und Bewertung der Geschehnisse.lagen.<br />
Bezüglich des zweiten Teils des Untersuchungsauftrages<br />
ist die Mehrheit des Ausschusses der Ansicht, dass<br />
die Entsendung des KSK nach Afghanistan die politisch<br />
richtige Entscheidung war. Der Einsatz dieses Truppenteils<br />
war erfolgreich, und er war – das möchte ich besonders<br />
betonen – völkerrechtskonform.<br />
(D)<br />
Die Arbeit des Untersuchungsausschusses hat eines<br />
deutlich gemacht. Es gibt ein Spannungsfeld: hier das<br />
Recht auf Schutz durch Geheimhaltung, dort das Recht<br />
auf Information. Zur Lösung dieser Problematik liegt Ihnen<br />
heute ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen<br />
vor.<br />
Absolut unstrittig war während des gesamten Untersuchungszeitraumes,<br />
dass es zwei unantastbare Kernbereiche<br />
gibt, für die absolute Geheimhaltung bestehen muss:<br />
erstens den Identitätsschutz der KSK-Soldaten und zweitens<br />
laufende militärische Operationen des KSK, die<br />
nicht gefährdet werden dürfen.<br />
Andererseits: Die Bundeswehr als Parlamentsarmee<br />
begründet einen Informationsanspruch des Deutschen<br />
<strong>Bundestag</strong>es. Mehr Transparenz und Akzeptanz nutzen<br />
sowohl dem Parlament als auch den Soldaten.<br />
Der vorliegende Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen<br />
schafft eine institutionalisierte Unterrichtung,<br />
aufbauend auf der bisherigen Praxis, berücksichtigt aber<br />
gleichzeitig die schutzwürdigen Interessen unserer Soldaten.