193. Sitzung - Deutscher Bundestag
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20936 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008<br />
(A) keitskriterien ist faktisch nicht durchsetzbar. Dass Bünd- wirksame Bekämpfung der Ursachen des Hungers kann (C)<br />
nis 90/Die Grünen lediglich die Regulation von kurzfris- nur gelingen, wenn Strategien der ländlichen Entwicktigen<br />
Spekulationen mit Agrarrohstoffen fordern, ist lung am Recht auf Nahrung ausgerichtet werden. Klein-<br />
enttäuschend. Wir brauchen eine Politik der systematibäuerinnen, Kleinbauern, Frauen und Mädchen, indischen<br />
Armutsbekämpfung in den Entwicklungsländern. gene Völker und andere Bevölkerungsgruppen, die am<br />
Wir brauchen eine Umverteilung von Land zugunsten meisten von Hunger betroffen sind, müssen ins Zentrum<br />
der Landlosen und Kleinbäuerinnen und -bauern. Wir der ländlichen Entwicklung rücken.<br />
brauchen staatlich garantierte Arbeitsplätze mit angemessenen<br />
Löhnen. Wir brauchen die Streichung illegitimer<br />
Schulden. Wir brauchen eine faire und kohärente<br />
Handelspolitik zugunsten der Armen. Steueroasen müssen<br />
geschlossen werden, Spekulationen mit Nahrungsmitteln<br />
verboten und Banken staatlich reguliert werden.<br />
Viele wichtige Gründe der Nahrungsmittelkrise finden in<br />
dem Antrag der Grünen keine Erwähnung. Dennoch sind<br />
die enthaltenen Forderungen erste Schritte auf einem<br />
richtigen Weg, weshalb die Linke den Antrag unterstützt.<br />
Wir konnten sehen, wie bei der gegenwärtigen<br />
Finanz- und Wirtschaftskrise in kürzester Zeit enorme<br />
Summen aus den öffentlichen Kassen mobilisiert wurden.<br />
Dies mag ja aus wirtschaftspolitischer Sicht erforderlich<br />
sein. Aber wie kann man dann den Menschen erklären,<br />
dass die Bundesregierung nicht bereit war, sich<br />
dafür einzusetzen, dass nur 1 Milliarde Euro an überschüssigen<br />
EU-Agrarmitteln umgewidmet wird für die<br />
ländliche Entwicklung in den von Hunger betroffenen<br />
Ländern?<br />
Die Entwicklungsländer müssen die Möglichkeit ha-<br />
(B)<br />
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die<br />
Zahl der von Hunger betroffenen Menschen ist nach Angaben<br />
der Welternährungsorganisation bis Ende 2007<br />
von 854 auf 923 Millionen geklettert und hat damit einen<br />
historischen Höchststand erreicht. Die Prognosen<br />
sind düster. Es ist so gut wie sicher, dass die Zahl der<br />
Hungernden bald die Milliardengrenze überschreiten<br />
wird. Gerade in den ländlichen Räumen der Entwicklungsländer<br />
sind Hunger und Armut am tiefsten verwurzelt.<br />
In unserem Antrag „Die Ursachen des Hungers beseitigen<br />
– Die ländliche Entwicklung fördern“ fordern<br />
wir daher einen fundamentalen Paradigmenwechsel in<br />
der Hungerbekämpfung. Die Koalition hingegen hält<br />
sich in ihrem Antrag bedeckt und drückt sich um eine<br />
wesentliche Frage: die Verpflichtung zur Finanzierung<br />
ländlicher Entwicklung.<br />
ben sich selbst zu helfen. Das geht aber nur, wenn diesen<br />
Ländern nicht durch unfaire Handelspolitik jede Möglichkeit<br />
der Entwicklung aus eigener Kraft geraubt wird.<br />
Unfair ist es zum Beispiel, wenn erst im Zuge von oftmals<br />
erzwungenen Liberalisierungsmaßnahmen die<br />
Zollschranken beseitigt werden und dann hochsubventionierte,<br />
nicht vermarktbare Restbestände der EU-<br />
Agrarproduktion auf den Märkten der Entwicklungsländer<br />
abgekippt werden. Ärmere Agrarländer müssen sich<br />
vor Dumpingfluten schützen können. Eine faire Handelspolitik<br />
muss die wesentlich schwächere Ausgangsposition<br />
dieser Länder berücksichtigen und sich an der<br />
Chancengleichheit orientieren.<br />
Neben der Schaffung fairer Handelsstrukturen müssen<br />
wir eine weltweite Agrarwende hin zu ressourcenschonendem<br />
Anbau vollziehen. An dieser Stelle sind die<br />
(D)<br />
Denn wir brauchen mehr Geld für ländliche Entwicklung.<br />
Deutschland hat sich international dazu verpflichtet,<br />
bis 2015 Mittel in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens<br />
für die Entwicklungszusammenarbeit<br />
aufzubringen. Davon ist Deutschland noch weit entfernt –<br />
trotz der diesjährigen Aufstockung des Entwicklungsetats.<br />
Gemäß dem EU-Stufenplan besteht bereits jetzt<br />
eine Finanzierungslücke von 1,6 Milliarden Euro.<br />
Deutschland muss zu seinen Verpflichtungen stehen und<br />
die schrittweise Erhöhung des Entwicklungshaushalts<br />
stärker vorantreiben. Doch mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit<br />
allein reicht nicht aus. Es muss auch innerhalb<br />
des Entwicklungsetats mehr Geld für ländliche<br />
Entwicklung zur Verfügung stehen, um einen echten<br />
Formulierungen des Koalitionsantrags viel zu schwammig.<br />
Die Förderung der ländlichen Entwicklung darf<br />
nicht bedeuten, dass lediglich die konventionelle Landwirtschaft,<br />
wie wir sie kennen, bis in den letzen Winkel<br />
der Erde vordringt. Das muss in aller Deutlichkeit gesagt<br />
werden. Es darf nicht bedeuten, dass mittels einer „zweiten<br />
grünen Revolution“ die Irrungen der ersten wiederholt<br />
werden – plus Gentechnik. Die bisherigen Erfahrungen<br />
mit dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen<br />
zeigen: Ihr Anbau für den Fleischkonsum und den Rohstoffbedarf<br />
der Industrieländer treibt in Entwicklungsund<br />
Schwellenländern die lokale kleinbäuerliche Wirtschaft<br />
in neue Abhängigkeiten und beschleunigt soziale<br />
Verwerfungen.<br />
Beitrag zur Bekämpfung des Hungers zu leisten.<br />
Wir fordern daher eine Agrarwende, bei der gesunde<br />
Nahrungsmittel auf zweifach nachhaltige Weise hergestellt<br />
werden: sozial nachhaltig unter Wahrung der Menschenrechte<br />
und ökologisch nachhaltig unter schonendem<br />
Umgang mit Ressourcen, vielfältigen Fruchtfolgen,<br />
dem Einsatz von organischen Düngern und natürlicher<br />
Schädlingsbekämpfung.<br />
Die Bundesregierung sollte deshalb dem Aufruf der<br />
Hunger-Taskforce der Vereinten Nationen folgen, mindestens<br />
10 Prozent der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit<br />
für eine nachhaltige ländliche Entwicklung<br />
einzusetzen. Auch die Partnerländer sollten im<br />
Gegenzug mindestens zehn Prozent ihrer Staatshaushalte<br />
für ländliche Entwicklung bereitstellen. Diese sollten<br />
vor allem die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen darin<br />
unterstützen, auf angepasste, ressourcenschonende<br />
Weise Grundnahrungsmittel zur Selbstversorgung und<br />
für lokale und regionale Märkte herzustellen. Denn eine<br />
Dieser grüne Ansatz zur ländlichen Entwicklung ist<br />
übrigens auch vom Weltagrarrat IAASTD, dem weltweit<br />
führende Agrarexpertinnen und -experten angehören,<br />
bestätigt worden. Der im April erschienene Bericht des<br />
Weltagrarrats macht deutlich: Nur eine drastische Um-