193. Sitzung - Deutscher Bundestag
193. Sitzung - Deutscher Bundestag
193. Sitzung - Deutscher Bundestag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
20946 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008<br />
(A) betitelt: „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung.“ Die ten gegeben hat, die Frage nämlich, wie und in welcher (C)<br />
Fraktion Die Linke hat wiederholt gefragt: Wer soll sich Form wir an die Vertreibungen von Deutschen nach dem<br />
da mit wem versöhnen? Und bisher keine Antwort auf Zweiten Weltkrieg erinnern wollen.<br />
die Frage erhalten. Und wir haben auch immer wieder<br />
die Frage gestellt: Wie kann eine solche Institution der<br />
Erinnerung ausgerechnet in Berlin, dem Ort, von dem all<br />
die mörderischen Verbrechen ausgingen, die dann zum<br />
Elend von Flucht und Vertreibung geführt haben, der<br />
Versöhnung dienen?<br />
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Große Koalition<br />
ja angekündigt, hier ein „sichtbares Zeichen“ setzen zu<br />
wollen. Drei Jahre lang hat man sich gefragt, ob dieses<br />
seltsame Ding tatsächlich irgendwann sichtbar sein<br />
würde. Bislang war es eher ein seltsam konturloses Gebilde.<br />
Und ehrlich gesagt, inhaltlich ändert sich daran<br />
Welch eine Chance wurde da vertan? Polens Minister- durch den nun vorliegenden Gesetzentwurf so viel nicht.<br />
präsident Tusk hat Deutschland eingeladen, sich am gro- Denn mit der Einrichtung der beim Deutschen Historißen<br />
polnischen Anti-Kriegs-Museum in Danzig zu beteischen Museum angesiedelten „Stiftung Flucht, Vertreiligen.<br />
Kein Interesse. Die Städte Görlitz und Zgorzelec bung, Versöhnung“ wird lediglich die organisatorische<br />
haben sich für eine Doppelausstellung beworben. Kein Hülle geschaffen. Die inhaltliche Debatte, was dort in<br />
Interesse. Es gab Vorschläge, Ausstellungen und Doku- Ausstellungen, Veranstaltungen und sonstigen Programmentationen<br />
im Dreiländereck Deutschland – Polen – men genau geschehen soll, muss nun erst richtig losge-<br />
Tschechische Republik zu schaffen. Kein Interesse. hen. Wir wünschen uns, dass die Regierung von nun an<br />
offensiver und vor allem öffentlicher mit diesem Thema<br />
umgeht. Denn es hat schon etwas Verdruckstes, wenn<br />
dieses Vorhaben nun hinter einer stiftungsrechtlichen<br />
Neuorganisation des Deutschen Historischen Museums<br />
versteckt wird. Da wir nicht genau wissen, was uns inhaltlich<br />
erwartet, werden wir uns bei der Abstimmung<br />
über diesen Gesetzentwurf denn auch enthalten.<br />
Nein, es muss in Berlin sein, und es muss jetzt ganz<br />
schnell und klammheimlich etabliert werden, ohne parlamentarische<br />
Aussprache – ohne gesellschaftliche Diskussion.<br />
Auch ohne internationalen, wissenschaftlichen<br />
Diskurs. Eine für Dezember geplante Konferenz mit polnischen<br />
und tschechischen Historikern findet nicht statt,<br />
weil polnische und tschechische Historiker abgesagt haben.<br />
Ist egal. Hauptsache, die Stiftung wird heute Nacht<br />
gesetzlich.<br />
Lassen Sie mich dennoch etwas Grundsätzliches aus<br />
unserer Perspektive zum Thema Vertreibungen sagen.<br />
Grundsätzlich sind wir Grüne dafür, der deutschen Opfer<br />
(B)<br />
Am 13. November 2008 hat Władysław Bartoszewski<br />
der Zeitung Rzeczpospolita gesagt: „Wir wurden um unsere<br />
Meinung gebeten. Wir haben geantwortet, dass wir<br />
weder im Namen des polnischen Staates, noch im Namen<br />
der Regierung irgendeine institutionelle Handlung<br />
in dieser Sache unternehmen werden. Wir haben in letzter<br />
Zeit mit der tschechischen Regierung eine gemeinsame<br />
Haltung gegenüber dem deutschen Vorhaben vereinbart,<br />
die – auf eine einfache Formel gebracht –<br />
besagt: Macht wie Ihr denkt, aber passt auf, was Ihr<br />
macht!“<br />
der Vertreibungen zu gedenken. Lange Zeit herrschte gerade<br />
in der westdeutschen politischen Linken die Auffassung<br />
vor, die deutschen Opfer der Vertreibungen seien<br />
die „gerechte Strafe“ für die Verbrechen der Nazis. „Gerecht“<br />
konnte man dies aber nur finden, wenn man<br />
Anhänger der Kollektivschuldthese war. Denn nach individueller<br />
Schuld und Verantwortung wurde von den Vertreibern<br />
ja nicht gefragt. Unter den Vertriebenen waren<br />
– wenn auch nicht unbedingt mehrheitlich – auch Kommunisten<br />
und andere Gegner des Naziregimes. Die Vertreibungen<br />
hatten gerade für die politische Linke eine<br />
Placebofunktion, was Schuld und Sühne angeht. Da man<br />
die Abertausend Deutsche, die aktiv an den Massenmorden<br />
des Holocaust beteiligt waren, nicht alle verurteilen<br />
konnte, hatten aus dieser Perspektive die Vertriebenen<br />
sozusagen als Stellvertreter die Last der Schuld zu übernehmen.<br />
(D)<br />
Diesen Worten ist wenig hinzuzufügen. Außer: Wer<br />
passt auf, was da entsteht und was da gemacht wird? Das<br />
Parlament hat wenig Möglichkeiten, wie uns dieser Gesetzesvorgang<br />
zeigt. Und nicht nur er. Im 13-Personen<br />
Aufsichtsrat-Gremium der Stiftung haben zwei <strong>Bundestag</strong>sabgeordnete<br />
Sitz und Stimme, aber drei Vertreter des<br />
Bundes der Vertriebenen – sie stellen die größte Gruppe.<br />
Die Fraktion Die Linke lehnt den Gesetzentwurf wegen<br />
der Konzeption der Stiftung, ihres Standortes und<br />
der Zusammensetzung des Kontrollgremiums ab. Auch<br />
wenn das die Regierungsparteien überhaupt nicht interessiert:<br />
Eine offene Debatte im <strong>Bundestag</strong> hätten sie<br />
wenigstens zulassen sollen. Auch um der Versöhnung<br />
mit unseren Nachbarn willen.<br />
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-<br />
NEN): Wenn wir hier und jetzt über den Tagesordnungspunkt<br />
Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ diskutieren,<br />
klingt das nach einer reichlich technokratischen<br />
Angelegenheit. In Wirklichkeit versteckt sich dahinter<br />
aber ein Thema, das immer wieder Anlass zu grundsätzlichen,<br />
ja manchmal sogar dogmatisch geführten Debat-<br />
Ich möchte nicht darauf eingehen, warum das Thema<br />
Vertreibungen nach dem Krieg von der politischen Rechten<br />
ideologisch besetzt und ausgeschlachtet werden<br />
konnte. Bis heute ist es so, dass das Thema Vertreibungen<br />
für revisionistische Klitterungen der deutschen<br />
Geschichte missbraucht wird. Wir werden deshalb aufmerksam<br />
darauf achten, dass das geplante Dokumentationszentrum<br />
den historischen Kontext ausreichend berücksichtigt.<br />
Die Erinnerung an die Vertreibungen von<br />
Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und das Gedenken<br />
an deren Opfer darf nicht dazu führen, dass die deutschen<br />
Verbrechen in den Hintergrund geraten. Die Vertreibungen<br />
von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
haben viel Leid verursacht, und sie waren Unrecht. Doch<br />
muss jede Erinnerung an deutsche Opfer den historischen<br />
Zusammenhang deutlich machen. Deshalb werden<br />
wir genau hinschauen, welchen Einfluss der Bund der