193. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20935<br />
(A) schwerpunkte abgelehnt. Der EU-Verhaltenskodex binlingt, die Strukturen im Welthandel gerechter zu gestal- (C)<br />
det uns nämlich jetzt, sodass wir die ländliche Entwickten.“ In ihrem Antrag listen die Regierungsparteien die<br />
lung in verschiedenen Ländern eben nicht mehr fördern vielfältigen Gründe für die zunehmende Armut und den<br />
können, wie wir das gerne täten. Wenn Sie diese Ansicht Hunger auf. Es wird betont, dass die Nahrungsmittel-<br />
also offensichtlich teilen, wieso haben Sie sich dann aber krise vor allem eine Verteilungs- und Armutskrise ist. Es<br />
im Ausschuss nicht gegen diese Begrenzung ausgespro- wird sogar auf die „vorschnelle Handelsliberalisierung<br />
chen? Da gehen bei Ihnen wohl wieder Worte und Taten ohne Schutzmöglichkeiten … einheimischer Produzen-<br />
auseinander.<br />
ten“ hingewiesen. – Diese plötzliche Hellsichtigkeit ist<br />
Sie fordern auch wieder Quoten, so in dem Feststellungsteil<br />
des Antrags. Dort erklären Sie noch, dass die<br />
Millennium Development Goals mit der Festlegung der<br />
Entwicklungsfinanzierung auf 0,7 Prozent BIP bis 2015<br />
nicht zu erreichen sind. Da haben Sie wahrscheinlich<br />
recht, wobei ich anmerken möchte, dass die Kernaufgabe<br />
von Entwicklungspolitik nicht die MDGs sind, sondern<br />
Entwicklung, und zwar vor allem wirtschaftliche<br />
Entwicklung, damit eines Tages die MDGs auch aus eigener<br />
Kraft erreicht werden können. MDGs sind nämlich<br />
Meilensteine. Sie aber haben die MDGs zum Selbstzweck<br />
gemacht, und das ist der Grund für die verbreitete<br />
Inkohärenz in der Entwicklungspolitik. Zwei Seiten später<br />
aber fordern Sie wieder die Festlegung einer Quote,<br />
nämlich 10 Prozent für ländliche Entwicklung. Aber was<br />
denn nun, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von<br />
den Grünen? Heute diese Quote, morgen jene Quote, je<br />
nachdem was gerade in Mode ist. Wir aber wollen hier<br />
mehr Konsequenz und vor allem Effizienz.<br />
erstaunlich!<br />
Doch was folgern Sie daraus, Kolleginnen und Kollegen<br />
der CDU und SPD: Sie möchten dem Anstieg der<br />
Nahrungsmittelpreise durch Agrartreibstoffe – an deren<br />
Produktionssteigerung die Bundesregierung durch die<br />
Quotenpolitik massgeblich beteiligt ist – durch Zertifizierung<br />
entgegentreten. Eine Zertifizierung ist nicht nur<br />
aufgrund mangelnder institutioneller Infrastruktur kaum<br />
möglich, sie käme auch viel zu spät. Des Weiteren<br />
möchten Sie die „Potenziale der modernen Biotechnologie<br />
prüfen“, anstatt lokale und angepasste Anbaumöglichkeiten<br />
zu fördern. Auch werden die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen<br />
– EPAs – der EU mit den AKP-<br />
Staaten – Afrika, Karibik, Pazifik – nicht erwähnt. Diese<br />
sind armutsverschärfend und behindern jegliche regionale<br />
Marktintegration innerhalb Afrikas. Auch gehen Sie<br />
nicht auf die Spekulation von Nahrungsmitteln ein, die<br />
laut Weltbank ein Hauptgrund für die Verteuerung von<br />
Nahrungsmitteln war.<br />
(B)<br />
Auf die Grüne Gentechnik komme ich gar nicht erst<br />
zu sprechen. Da ist bei den Grünen im Gegensatz zum<br />
Koalitionsantrag kein Umdenken erkennbar. Schade.<br />
Lassen Sie mich am Schluss noch etwas Grundsätzli-<br />
Zusammengefasst: Ihre Analyse ist in vielen Punkten<br />
zutreffend. Doch ziehen die Regierungsparteien – wie so<br />
oft – keine Schlussfolgerungen für ihr Handeln daraus.<br />
Ihre Forderungen kratzen nur an der Oberfläche der Ursachen<br />
des Hungers. Diesen Antrag lehnen wir ab.<br />
(D)<br />
ches sagen. Bei allen Konferenzen in den letzten Monaten<br />
seit der Nahrungsmittel- und Finanzkrise werden immer<br />
nur enorme Summen in den Raum geworfen, immer<br />
nach dem Motto: Wer bietet mehr? Aber ein kohärentes<br />
Konzept, geschweige denn ein abgestimmtes Handeln<br />
Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zeigt<br />
da mehr Kohärenz zwischen Analyse und Forderungen<br />
auf. Es werden vier zentrale Bereiche aufgelistet, in denen<br />
dringender Handlungsbedarf besteht:<br />
vermisse ich noch immer.<br />
Erstens. Der Forderung, das Recht auf Nahrung gemäß<br />
Art. 11 des Paktes für wirtschaftliche, soziale und<br />
kulturelle Menschenrechte umzusetzen, stimmen wir<br />
vorbehaltlos zu.<br />
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Die Ernährungslage<br />
in der Welt ist unhaltbar für viel zu viele Menschen.<br />
Die Regierungen der Industrieländer tragen eine<br />
große Verantwortung an dieser Situation. Lassen Sie<br />
mich die Situation noch einmal kurz skizzieren:<br />
Auf dem Welternährungsgipfel 1996 in Rom versprachen<br />
die Regierungen, den Hunger auf der Welt bis 2015<br />
zu halbieren. Die Halbzeitbilanz in diesem Jahr ist niederschmetternd.<br />
Die Zahl der Hungernden ist auf über<br />
923 Millionen Menschen angestiegen. Das tägliche Einkommen<br />
der meisten afrikanischen Männer und Frauen<br />
liegt unter 1 Euro. Für ein europäisches Rind hingegen<br />
wird 2,50 Euro pro Tag an Subventionen ausgegeben.<br />
Die Industriestaaten subventionieren ihre Landwirtschaft<br />
mit jährlich rund 268 Milliarden Euro – rund viermal soviel,<br />
wie sie für Entwicklungshilfe ausgeben. Diese Zahlen<br />
geben die Unmenschlichkeit dieses Welthandelssystems<br />
wieder.<br />
Die Ministerin Wieczorek-Zeul weist selbst darauf<br />
hin: „Alle Programme zur Einlösung des Rechts auf<br />
Nahrung werden nichts ändern, wenn es uns nicht ge-<br />
Zweitens. Den Wortbruch der Kanzlerin bezüglich<br />
der niedrigen ODA-Quote haben wir mehrfach angesprochen.<br />
Ein Erreichen der 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes<br />
für Entwicklungshilfe bis 2015 halten wir<br />
für unbedingt notwendig.<br />
Drittens. Der Forderung nach der Beendigung der<br />
systematischen Zerstörung der Ökosysteme und der<br />
Übernutzung der natürlichen Ressourcen wie Land,<br />
Wasser und Luft schließen wir uns an. Vor allem der<br />
Hinweis auf eine nachhaltige Landwirtschaft ohne Einsatz<br />
von gentechnisch modifizierten Organismen und einer<br />
angepassten Forschung ist dabei unterstützenswert.<br />
Viertens. Leider fällt dann die Frage nach der Demokratisierung<br />
der „ungerechten internationalen und nationalen<br />
Governancesysteme und Regelwerke“ weit hinter<br />
wünschenswerten Forderungen nach einer Handelspolitik<br />
zugunsten der Armen zurück. Auch hier werden die<br />
EPAs nicht problematisiert werden. Der Anbau von<br />
Agrotreibstoffen nach Menschenrechts- und Nachhaltig-