193. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20943<br />
(A) Das Vorhaben der Bundesregierung, die Ausstellung Markus Meckel (SPD): Seit einigen Jahren sorgte (C)<br />
„Flucht, Vertreibung Integration“ zum Herzstück des die Frage, wie wir in Deutschland mit der Erinnerung an<br />
neuen Dokumentationszentrum zu machen, ist konse- Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiquent.<br />
Diese Ausstellung wurde von der Stiftung „Haus ten Weltkrieg umgehen wollen, für heftige Auseinander-<br />
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ unter setzungen in Gesellschaft und Politik. Die SPD hat das<br />
Beteiligung eines Kreises von namhaften Fachleuten von der Union lange geforderte „Zentrum gegen Vertrei-<br />
konzipiert. Sie steht unter der Schirmherrschaft des Bunbungen“ des Bundes der Vertriebenen in der Vergangendespräsidenten.<br />
Auf wissenschaftlicher Grundlage verheit immer mit aller Entschiedenheit abgelehnt. An dieanschaulicht<br />
sie umfassend die Problematik von Flucht ser Ablehnung hat sich nichts geändert. Es ist daher<br />
und Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten wirklich als großer Erfolg zu werten, dass SPD und<br />
Weltkrieges, aber auch deren Integration in der Bundes- Union nun schließlich eine Einigung darüber erzielt harepublik<br />
Deutschland und in der damaligen Sowjetiben, die es ermöglicht, gemeinsam an Flucht und Verschen<br />
Besatzungszone.<br />
treibung zu erinnern. Mit dem Beschluss zum Aufbau einer<br />
unselbstständigen Stiftung „Flucht, Vertreibung,<br />
Versöhnung“ unter dem Dache der zu errichtenden Stiftung<br />
„Deutsches Historisches Museum“ bringen wir<br />
heute ein Jahre währendes, zähes Ringen zu einem guten<br />
Ende. Ein schwieriger, doch ausgesprochen wichtiger<br />
Auftrag aus der Koalitionsvereinbarung wird damit erfüllt.<br />
Sachlich, gesellschaftspolitisch verantwortungsbewusst<br />
und auch fachlich richtig ist es, zu prüfen, welche<br />
Anregungen und Elemente aus der Ausstellung „Erzwungene<br />
Wege“ übernommen werden können. Diese<br />
Initiative der BDV-Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“<br />
ist von Fachleuten des In- wie Auslandes als historisch<br />
korrekt und anerkennenswert bezeichnet worden.<br />
Die Kritik, die in diesem Zusammenhang und auch darüber<br />
hinaus meine Kollegin Erika Steinbach erfahren<br />
hat, war weder gerechtfertigt noch vertretbar. Und was in<br />
diesem Zusammenhang die Besetzung des Stiftungsrates<br />
angeht, gehe ich davon aus, dass der BDV im Sinne von<br />
Verständigung und Versöhnung einen entsprechenden<br />
Vorschlag unterbreiten wird.<br />
Die Frage nach dem Umgang mit der Erinnerung an<br />
Flucht, Vertreibungen und Umsiedlungen in Folge des<br />
von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges ist jedoch<br />
nicht allein eine deutsche Frage und wurde nicht<br />
nur innerhalb Deutschlands sehr kontrovers debattiert.<br />
Besonders die Beziehungen mit Polen waren durch das<br />
Thema zeitweise stark belastet, konstruktive Gespräche<br />
darüber mit unserem Nachbarland nicht zu jedem Zeit-<br />
(B)<br />
Der BDV ist ein anerkannter Verband. Mit Beginn der<br />
Bundesrepublik hat jede Regierung seit über 60 Jahren<br />
– ob schwarz, rot, gelb oder grün – durch ihre Mittelvergabe<br />
an die Vertriebenen diese Akzeptanz dokumentiert.<br />
Dazu stehen wir auch weiter.<br />
Für notwendig erachtet es unsere Fraktion, bei der<br />
Konzipierung den europäischen Aspekt von Flucht und<br />
Vertreibung herauszustellen. Das entspricht unseren Vorpunkt<br />
möglich. Auch andere Nachbarländer verfolgten<br />
die Diskussionen in Deutschland skeptisch.<br />
Der SPD war es von Anfang an besonders wichtig,<br />
die Perspektiven der europäischen Nachbarn einzubeziehen<br />
und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich in die Diskussion<br />
einzubringen. Umso mehr hoffe ich nun, dass<br />
der gefundene Kompromiss unseren Nachbarn deutlich<br />
macht, dass wir in Deutschland die Geschichte nicht um-<br />
(D)<br />
stellungen, einen Dokumentationsort entstehen zu lasdeuten wollen, dass wir auf die Frage nach Ursachen und<br />
sen, an dem auch die Schicksale aus den Ländern einbe- Wirkung sehr differenziert eingehen werden und dass<br />
zogen werden, mit denen Deutschland im europäischen wir die europäische Gesamtperspektive auf unsere Ge-<br />
Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“ partnerschaftlich schichte nicht ausblenden. Im Stiftungszweck ist festge-<br />
zusammenarbeitet. Es ist sachlich und politisch richtig, schrieben, dass die unselbstständige Stiftung „im Geiste<br />
das europäische Netzwerk in die Konzeption der Stif- der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an<br />
tung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ einzubeziehen. Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im histori-<br />
Eine solche Konsequenz ist für das Verständnis eines schen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der natio-<br />
derartigen Erinnerungsortes unverzichtbar.<br />
nalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik<br />
und ihrer Folgen“ wachhalten soll.<br />
Es ist richtig, dass unsere osteuropäischen Nachbarländer<br />
wie Polen und Tschechien sowie die Slowakei<br />
sich an der Realisierung in den Fachgremien beteiligen.<br />
Und es würde dem Anliegen dienen, wenn es zu einer<br />
– im Grundsatz – offiziellen Geste der Anerkennung von<br />
ihrer Seite zu unserem Vorhaben käme. Wir wollen mit<br />
diesem Ort ein Zeichen zur Ächtung jeglicher Vertreibung<br />
und ethnischer Verfolgung in Europa und weltweit<br />
setzen. Darüber müsste doch Verständigung möglich<br />
sein. Unser ehemaliger Bundespräsident Roman Herzog<br />
hat Erinnerungsbereitschaft und Mut von uns gefordert,<br />
da ohne gründliches Wissen um seine Geschichte ein<br />
Volk die Herausforderungen der Zukunft nicht bestehen<br />
könne. Die neue Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“<br />
wird diesem Anspruch gerecht.<br />
Die unselbstständige „Stiftung Flucht, Vertreibung,<br />
Versöhnung“ wird in öffentlicher Trägerschaft entstehen<br />
und durch die Anbindung an die Stiftung „Deutsches<br />
Historisches Museum“ in die bestehende Museumslandschaft<br />
eingebettet werden. Diese Anbindung an bereits<br />
vorhandene und bewährte Strukturen erleichtert in fachlicher<br />
und organisatorischer Hinsicht den Prozess in hohem<br />
Maße. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal<br />
betonen, wie wichtig es ist, dass die Stiftung in öffentlicher<br />
Hand entsteht und dass Parlament und Regierung<br />
gemeinsam die Grundlage zur Errichtung der Stiftung<br />
geschaffen haben. Dies unterstreicht zum einen die<br />
Wichtigkeit und Tragweite des Vorhabens. Darüber hinaus<br />
wurde dadurch der Kompromiss zwischen ver-