193. Sitzung - Deutscher Bundestag
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20972 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008<br />
(A) zugleich ein Kapitel deutscher Geschichte beendet wer- 1848/49 hat es – abgesehen von den wenigen erfolgrei- (C)<br />
den, dessen Ausgangspunkt nicht schwärzer hätte beginchen Jahren der Weimarer Republik – nicht mehr genen<br />
können. Ein halbes Jahrhundert zuvor hatten zwölf schafft, diese beiden Ideen in positiver und stabiler<br />
Jahre nationalsozialistischer Diktatur Europa an den Ab- Weise miteinander zu verbinden.<br />
grund geführt. Unsägliches Leid haben die Deutschen<br />
damals über die anderen Völker Europas gebracht. Das<br />
Kriegsende brachte eine Zäsur. Deutschland wurde aufgeteilt.<br />
Der freie Westen und die kommunistische Diktatur<br />
der Sowjetunion teilten Deutschland in ihre Einflusssphären<br />
auf. Im Westen entstand ein freiheitlichdemokratischer<br />
Rechtsstaat, während der ostdeutschen<br />
Bevölkerung eine Einparteiendiktatur aufgezwungen<br />
wurde.<br />
Die friedliche Revolution von 1989 war es dann, die<br />
nicht nur zur Einheit Deutschlands führte, sondern endlich<br />
für alle Deutschen die Freiheit brachte. Auch wenn<br />
den geschichtlichen Ereignissen im Nachhinein eine gewisse<br />
Folgerichtigkeit oder gar Zwangsläufigkeit beigemessen<br />
werden mag, kann man wohl von einem glücklichen,<br />
wenn nicht sogar dem glücklichsten Moment in<br />
unserer Geschichte sprechen.<br />
Nur wer sich dies vor Augen hält, kann die Ereignisse<br />
von 1989 und 1990 für unser Land in ihrer ganzen Bedeutung<br />
ermessen. Die Einheit in Freiheit war ein Geschenk<br />
der Geschichte, aber es war eines, das erst auf<br />
friedlichem Wege erkämpft werden musste, das den<br />
Deutschen nicht einfach so in den Schoß gefallen ist.<br />
Deutschland hat durch die Einheit seine volle Souveränität<br />
wiedererlangt. Und manche Befürchtungen, die in<br />
anderen Ländern mit der Wiedervereinigung laut wurden,<br />
haben sich nicht bestätigt. Gesamtdeutschland ist<br />
gleichberechtigter und zuverlässiger Partner im Konzert<br />
der friedlichen Völker Europas und der Welt geworden.<br />
(B)<br />
Der Anfang vom Ende der DDR waren die Montagsdemonstrationen<br />
in Leipzig. Der Druck auf das Unrechtsregime<br />
erhöhte sich. Nun gab es auch Demonstrationen<br />
in Berlin. Nach dem Fall der Mauer wurde wohl<br />
jedem in der SED bewusst, dass das Ende der Diktatur<br />
gekommen war. Jetzt konnten die Staatspartei nur noch<br />
als Konkursverwalter eines heruntergewirtschafteten<br />
Systems dienen, dessen Folgen uns bis zum heutigen<br />
Tag beschäftigen.<br />
So präsent jeder Einzelne von uns in diesem Hause<br />
noch die Ereignisse vor Augen hat, darf darüber nicht<br />
vergessen werden, dass es inzwischen eine Generation<br />
gibt, die diesen glücklichen historischen Aufbruch in<br />
Einheit und Freiheit nur vom Hörensagen kennt. Daran<br />
schließen sich zwei Fragen an: Wie kann man an diese<br />
Ereignisse erinnern, und wo sollte man dies tun?<br />
Wird der Versuch unternommen, geschichtliche Prozesse<br />
in statische Denkmäler zu pressen, muss dies natürlich<br />
immer unzulänglich bleiben. Auch wenn es darum<br />
geht, Gefühlen oder Werten eine Form zu geben,<br />
bleibt ein unvollkommener Moment bestehen. Darüber<br />
müssen wir uns auch beim Einheits- und Freiheitsdenkmal<br />
im Klaren sein. Da hatte es die Monarchie wesentlich<br />
einfacher. Bei aller Kunstfertigkeit in der Ausführung<br />
strahlten die Denkmäler einen triumphalen<br />
Machtanspruch aus, der keine Zweifel daran aufkommen<br />
ließ, wer der Herrscher im Lande war. Eine Demokratie<br />
tut sich mit derartigen Monumenten durchweg schwerer.<br />
Sie will allgemeinverbindliche Werte vermitteln, die ih-<br />
Berlin ist zudem der richtige Standort für das zentrale<br />
Einheits- und Freiheitsdenkmal. Auch wenn der Ursprung<br />
für die Umwälzungen in Leipzig lag, ist Berlin<br />
doch zu einem zentralen Gedenkort für Deutschland geworden.<br />
Warum nicht buchstäblich neben den Schrecken<br />
des Nationalsozialismus auch an die positiven Ereignisse<br />
in der deutschen Geschichte erinnern? Das ermöglicht<br />
ein differenziertes Geschichtsbild, das die schlechten<br />
Seiten nicht verschweigt, aber die guten auch nicht unerwähnt<br />
lässt.<br />
Dies kann Leipzig nicht leisten. Ein alleiniges Denkmal<br />
in Leipzig könnte nicht auf die wechselvolle Geschichte<br />
Deutschlands aufmerksam machen, sondern<br />
würde als solitär empfunden werden. Das bedeutet – um<br />
dies noch einmal klarzustellen – keine Missachtung gegenüber<br />
den Leipzigern. Daher befürworte ich, in Leipzig<br />
ebenfalls einen Gedenkort zu schaffen, der an den<br />
Beginn der friedlichen Proteste gegen das SED-Regime<br />
erinnert. Dieses Verdienst kommt den Leipzigern zugute,<br />
und das werden wir ihnen auch nie vergessen. Und auch<br />
der demokratische Neuanfang in schwieriger Zeit nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg verlangt aus meiner Sicht in<br />
Bonn nach einem besonderen Ort des Gedenkens. Das<br />
zentrale nationale Denkmal für Freiheit und Einheit gehört<br />
aber nach Berlin, in unsere Hauptstadt, in die einst<br />
geteilte Stadt mit weltweiter Symbolkraft, in eine Stadt,<br />
die jährlich von Millionen Menschen aus der Welt besucht<br />
wird und die gerade bei der Jugend Europas als<br />
Reiseziel immer beliebter wird.<br />
(D)<br />
rem Wesen immanent sind. Es geht ihr gerade nicht um Der Standort gegenüber dem Stadtschloss könnte<br />
die Verkörperung einer solitären, absolutistischen Idee. kaum besser gewählt sein. Es bildet dann einen Kontrapunkt<br />
zum wiedererrichteten Stadtschloss und unterstreicht,<br />
dass die Fassade keinen Wunsch nach den guten<br />
alten Zeiten verkörpert, sondern die beste städtebauliche<br />
Lösung in der Auseinandersetzung mit der Geschichte<br />
für diesen Ort ist. Die freiheitliche Demokratie zeigt an<br />
dieser Stelle ihr Selbstbewusstsein.<br />
Die Verknüpfung der Einheit mit dem Freiheitsgedanken<br />
scheint mir daher genau die richtige Antwort der<br />
Demokratie auf die Denkmalfrage zu sein. Für uns Deutsche<br />
hängt dies unweigerlich zusammen. Schon die gescheiterte<br />
Revolution von 1848 hatte versucht, beides<br />
miteinander zu verknüpfen. Das Scheitern bedeutete<br />
nicht nur eine Rückkehr zum monarchistischen und<br />
landständischen Prinzip, sondern auch zum Zerfall unseres<br />
Landes in Dutzende souveräner Einzelstaaten. Die<br />
bewegte deutsche Geschichte nach den Ereignissen von<br />
Mit der Wiedervereinigung Deutschlands haben wir<br />
ein neues Kapitel im Buch unserer Geschichte aufgeschlagen.<br />
Aber wir tun dies in dem Bewusstsein, dass ein<br />
Buch mehrere Kapitel hat und insofern Teil eines Gan-