193. Sitzung - Deutscher Bundestag
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20706 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008<br />
(A)<br />
Dr. Heinrich L. Kolb<br />
Diese Probleme haben sicher auch unsere Kollegin- in den alten und neuen Bundesländern zum Stichtag (C)<br />
nen und Kollegen gesehen, als sie 1990 die Rentenüber- 1. Juli 2010 – also fast 20 Jahre nach der deutschen Einleitung<br />
– sicherlich eine der schwierigsten Materien bei heit – in einheitliche Werte überführt werden.<br />
der Herstellung der deutschen Einheit –,<br />
(Iris Gleicke [SPD]: 1992 war das!)<br />
das heißt, die Überführung der Rentenanwartschaften,<br />
die in der ehemaligen DDR erworben wurden, in das<br />
SGB VI, das Rentenrecht der Bundesrepublik, geregelt<br />
haben, als sie in das Gesetz geschrieben haben, wie die<br />
Rentenbeiträge, die seit der Herstellung der deutschen<br />
Einheit in den neuen Bundesländern gezahlt wurden und<br />
werden, zu behandeln sind. Sie sind davon ausgegangen,<br />
dass das vertretbar sei, weil sie erwarteten, dass sich das<br />
Lohnniveau und damit auch die Rechenwerte der Rentenversicherung<br />
in den neuen und den alten Bundesländern<br />
eher früher als später angleichen würde, Unterschiede<br />
also nur für kurze Zeit bestehen würden.<br />
(Beifall bei der FDP)<br />
Ab diesem Stichtag passen sich die Renten im Bundesgebiet<br />
entsprechend der Entwicklung des einheitlichen<br />
Rentenwertes an. Jeder Euro Rentenbeitrag erbringt<br />
ab diesem Stichtag im ganzen Bundesgebiet den<br />
gleichen Rentenanspruch. Das wird auch der sich zunehmend<br />
ausdifferenzierenden Lohnstruktur in Ost und<br />
West gerecht. Es gibt zunehmend Gebiete in den neuen<br />
Bundesländern, in denen die Durchschnittsverdienste<br />
über denen in ärmeren Regionen der alten Bundesländer<br />
liegen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der<br />
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem aktuellen<br />
Gutachten einen solchen Schritt ausdrücklich als<br />
Handlungsoption erwähnt und empfohlen.<br />
Diese Erwartungen – das muss man heute sagen – haben<br />
sich so leider nicht erfüllt. Die tatsächliche Entwicklung<br />
war eine andere als 1990 angenommen.<br />
Alle zum Stichtag der Umstellung bestehenden Rentenansprüche<br />
bzw. Rentenanwartschaften in Ost und<br />
West bleiben bei einer solchen Umstellung in ihrem<br />
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Tja, wer ist Wert erhalten. Bestandsrentner und Beitragszahler in den<br />
schon Hellseher?)<br />
neuen Ländern behalten für die bereits erworbenen Ent-<br />
Es zeigt sich seit einigen Jahren, dass die Vorstellung,<br />
dass sich die Durchschnittseinkommen in den alten und<br />
geltpunkte Ost die Vorteile, die ihnen aus der Lohnhochwertung<br />
zugewachsen sind.<br />
(B)<br />
den neuen Bundesländern innerhalb kurzer Zeit und betragsgenau<br />
angleichen, nicht Realität wird. Der Rentenwert<br />
Ost liegt seit 2003 unverändert 12,1 Prozent unter<br />
dem Rentenwert West. Tatsächlich wäre der Rentenwert<br />
Ost in 2007 und 2008 ohne die Schutzklausel des § 255 a<br />
SGB VI sogar weiter hinter den Rentenwert West zurückgefallen.<br />
Ganz wichtig ist, dass der ausstehende künftige Prozess<br />
einer Angleichung des Rentenwertes Ost an den<br />
Rentenwert West und die Hoffnung auf damit verbundene<br />
Rentensteigerungen in der Zukunft in die Gegenwart<br />
vorgezogen und in Form einer Einmalzahlung an<br />
alle Versicherten mit Entgeltpunkten Ost ausgezahlt<br />
wird.<br />
(D)<br />
Die Frage ist nun: Können wir das sehenden Auges<br />
einfach weiterlaufen lassen, oder ist der Gesetzgeber<br />
(Beifall bei der FDP)<br />
aufgefordert, zu handeln? Wir meinen, die Versicherten Meine Damen und Herren, niemand weiß heute, ob<br />
haben einen berechtigten Anspruch auf einen gerechten und wie schnell der Rentenwert Ost künftig noch gegen-<br />
und widerspruchsfreien Rechtsrahmen bei der Berechüber dem Rentenwert West aufholen wird. Fairerweise<br />
nung ihrer Renten.<br />
sollte aber für die Berechnung der Einmalzahlung die<br />
(Beifall bei der FDP)<br />
positive Prognose des aktuellen Rentenversicherungsberichts<br />
zugrunde gelegt werden. Die Höhe der jeweils in-<br />
Leider haben die Bundeskanzlerin und der Bundesardividuellen Einmalzahlung orientiert sich an der Zahl<br />
beitsminister angekündigt, dass ein Vorschlag zur Ver- der persönlichen Entgeltpunkte und der weiteren durcheinheitlichung<br />
des Rentenrechts von Regierungsseite in schnittlichen Lebenserwartung am Stichtag der Umstel-<br />
dieser Legislaturperiode nicht mehr zu erwarten ist. lung.<br />
(Markus Löning [FDP]: So sind sie!)<br />
Vielmehr wurde Ende November von der Bundesregierung<br />
mit dem Rentenversicherungsbericht 2008 erstmals<br />
eine Modellrechnung vorgestellt, nach deren negativer<br />
Variante der Rentenwert Ost überhaupt nicht mehr<br />
aufholt, also eine Angleichung auf Dauer, auf Sicht nicht<br />
stattfindet. Ich meine, das ist unverantwortlich. Wir halten<br />
diese Position für falsch.<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb haben wir<br />
bereits am 3. Juni dieses Jahres einen Antrag im Deutschen<br />
<strong>Bundestag</strong> vorgelegt, mit dem erstmals ein realistischer<br />
Weg zur Vereinheitlichung des Rentenrechts in<br />
Deutschland aufgezeigt wird. Wir schlagen vor, dass die<br />
Rechengrößen für die Rentenversicherung – Entgeltpunkte,<br />
Rentenwerte und Beitragsbemessungsgrenze –<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Lösung hat<br />
mehrere Vorteile. Erstens werden von einer solchen Einmalzahlung<br />
auch diejenigen älteren Menschen profitieren,<br />
die als Rentner oder rentennahe Jahrgänge von der<br />
Rentenüberleitung besonders betroffen sind. Zweitens<br />
bleibt diese Lösung in der mit der Rentenüberleitung gewählten<br />
Systematik, dass nämlich die Vorteile, die den<br />
Versicherten mit den erleichtert erworbenen Entgeltpunkten<br />
Ost gewährt werden, an die prognostizierte<br />
Lohnentwicklung in den neuen Ländern gebunden sind.<br />
Drittens wird durch das Vorziehen verhindert, dass im<br />
Regelfall noch auf Jahrzehnte hinaus für erworbene Entgeltpunkte<br />
Ost das alte Berechnungssystem weiterläuft<br />
und sich die jährlichen Debatten um angebliche oder tatsächliche<br />
Ungerechtigkeiten des Rentensystems fortsetzen.