193. Sitzung - Deutscher Bundestag
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20932 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008<br />
(A) Instrumenten zu begegnen, wie beispielsweise die Aus- Mit Gratislieferungen in arme Länder werden die ein- (C)<br />
weitung von Agrarforschung, die Fokussierung auf die heimischen Kleinbauern an den Rand ihrer Existenz ge-<br />
ländliche Entwicklung sowie das Stärken der Verantbracht, die oft nicht mit den auf dem Markt angebotenen<br />
wortlichkeit der jeweiligen Regierung. Vor allem müs- Hilfsgütern konkurrieren können. Wie schon in der Desen<br />
wir nach den langwierigen Debatten endlich auch batte um eine geeignete Nahrungsmittelhilfekonvention<br />
mit der Umsetzung unserer Agenda beginnen. Alles da- angemerkt, verstärkt diese Situation die Abhängigkeit<br />
rüber Hinausgehende würde zu unverantwortlichen Ver- der Empfängerländer von Nahrungsmittelhilfe und steht<br />
zögerungen führen, würde unsere eigenen Möglichkei- konträr zu dem eigentlichen Ziel, den Empfängerländern<br />
ten überschätzen und wäre zum Scheitern verurteilt, und langfristig eine eigenständige Existenz- und damit Über-<br />
das können wir uns nicht leisten.<br />
lebensgrundlage zu sichern.<br />
Dr. Sascha Raabe (SPD): Die weltweite Armut hat<br />
vor allem ein ländliches Gesicht. Trotz teils gravierender<br />
Landflucht und voranschreitender Urbanisierung leben<br />
rund 80 Prozent der Menschen in Entwicklungsländern<br />
und circa 75 Prozent der absolut Armen im ländlichen<br />
Raum. Dort sind die Einkommensmöglichkeiten beschränkt,<br />
Infrastruktur und Industrie sind meist mangelhaft<br />
oder gar nicht vorhanden. Demzufolge sind die<br />
meisten Menschen in den Entwicklungsländern auf die<br />
Landwirtschaft angewiesen. Obwohl sie eigentlich an<br />
der Quelle der Nahrungsproduktion tätig sind, reichen<br />
die Erträge oft nicht aus, die Ernährung ihrer Familien<br />
sicherzustellen. Auch deshalb ist die Zahl der weltweit<br />
hungernden Menschen auf 923 Millionen angewachsen.<br />
Das Millenniumsziel – die Anzahl der unterernährten<br />
Menschen bis zum Jahr 2015 zu halbieren – wird damit<br />
noch schwieriger zu erreichen.<br />
Neben der weltweit stärkeren Nachfrage nach Grundlebensmitteln<br />
wie Reis oder Weizen und veränderten Ernährungsgewohnheiten,<br />
der stetig steigenden Produktion<br />
von Agrartreibstoffen und nicht zuletzt der Spekulation<br />
unverantwortlicher Händler an den Warenterminbörsen<br />
sind es vor allem die immer noch immensen Summen an<br />
Agrarexportsubventionen westlicher Staaten, die es den<br />
Bauern in den Entwicklungsländern schier unmöglich<br />
machen, profitabel zu wirtschaften.<br />
Auch wenn das nicht alle hier im Hause gerne hören<br />
möchten, Fakt ist: Die subventionierten Nahrungsmittel<br />
der Industrienationen zerstören die lokalen Agrarmärkte<br />
in den Entwicklungsländern. Allein im letzten Jahr haben<br />
die OECD-Staaten 349 Milliarden Dollar an Produktions-<br />
und Exportsubventionen für ihre Bauern ausgegeben.<br />
Dies kann und darf nicht Sinn und Zweck einer<br />
nachhaltigen und damit langfristig auf Selbstständigkeit<br />
der betroffenen Länder ausgerichteten Politik sein.<br />
Der Weltagrarhandel zwischen Norden und Süden<br />
muss daher fair ausgestaltet werden. Fair bedeutet: gerechte<br />
Marktchancen durch Zollabbau, Abschaffung der<br />
Exportsubventionen sowie ein Ende der handelsverzerrenden<br />
internen Stützungen in den Industriestaaten.<br />
Daher ist es wichtig, richtig und notwendig, dass die<br />
Agrarexportsubventionen der EU bis 2013 vollständig<br />
abgebaut werden. Je früher, desto besser!<br />
In diesem Zusammenhang sollte auch angemerkt werden,<br />
dass Hunger kein Problem der absolut produzierten<br />
Nahrungsmittelmenge ist. Mitnichten! Die Weltlandwirtschaft<br />
könnte heute schon 9 Milliarden Menschen ausreichend<br />
ernähren. Hunger ist ein Problem des Zugangs<br />
zur Nahrung. Insbesondere den Kleinbauern fehlt dieser<br />
Zugang. Für sie ist es zum Teil unmöglich, produktive<br />
Ressourcen wie Land, Kredite, Betriebsmittel etc. zu erlangen.<br />
Dieser Mangel stellt ein großes Entwicklungshemmnis<br />
in vielen Ländern dar.<br />
(B)<br />
Besorgniserregend ist vor allem die Situation in Subsahara-Afrika.<br />
Die landwirtschaftliche Produktion ist<br />
dort in den vergangenen Jahren kaum gestiegen. Rund<br />
30 Prozent der jährlich in Afrika konsumierten Nahrungsmittel<br />
müssen importiert werden, und das, obwohl<br />
circa 70 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft<br />
tätig sind.<br />
Gerade weil deutlich wurde, dass die Nahrungsmittelkrise<br />
nicht in erster Linie eine Versorgungs-, sondern<br />
eine Verteilungs- und Armutskrise ist, ist es zwingend<br />
erforderlich, die Produktivität der jeweiligen kleinbäuerlichen<br />
Wirtschaftseinheiten zu verbessern. Daher muss<br />
es ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung im Rahmen<br />
der bi- und multilateralen Zusammenarbeit sein,<br />
(D)<br />
Dieser Istzustand stellt eine inakzeptable Situation für Förderstrategien der ländlichen Entwicklung zu unter-<br />
die Menschen in den betroffenen Gebieten dar. Spätesstützen, die auf kleinbäuerliche Produzenten in benachtens<br />
seit der Anfang des Jahres einsetzenden Nahrungsteiligten Regionen ausgerichtet sind. Denn die meisten<br />
mittelkrise sollte jedem deutlich geworden sein, dass Kleinbauern, die ungefähr 400 Millionen Betriebe mit<br />
diese Importabhängigkeit katastrophale Folgen für die weniger als 2 Hektar Land pro Betrieb bewirtschaften,<br />
Versorgung der Menschen in den Entwicklungsländern produzieren selten Überschüsse. Zum Teil müssen sie<br />
hat.<br />
sogar Nahrungsmittel zur Versorgung der Familie zukaufen.<br />
Die anerkannte Hebelwirkung von Mikrokrediten<br />
könnte auch hier erfolgversprechende Wirkung zeigen.<br />
Wenn es um ländliche Entwicklung geht, dann geht es<br />
auch immer um Anbauflächen und damit um geeignete<br />
Umweltschutzstrategien. An vorderster Stelle stehen dabei<br />
vor allem der Tropen- und Regenwaldschutz. Der<br />
Schutz dieser einzigartigen Wälder – sei es nun in<br />
Ecuador, in der Republik Kongo oder in Indonesien –<br />
muss fester Bestandteil dieser Strategien sein. Denn Regenwaldschutz<br />
bedeutet immer auch Klimaschutz. Es ist<br />
daher wichtig, Biodiversitäts- und Agrobiodiversitätskonzepte<br />
zu fördern.<br />
Neueste Studien belegen, wie wichtig die Förderung<br />
der ländlichen Entwicklung auch für die Gesellschaftsstruktur<br />
eines Landes oder einer Region sein kann. Daraus<br />
geht hervor, dass Wachstumsraten kleiner und mittlerer<br />
landwirtschaftlicher Unternehmen besonders zur<br />
Armutsbekämpfung beitragen. Gestützt werden diese