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193. Sitzung - Deutscher Bundestag

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Dr. Petra Sitte<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – <strong>193.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2008 20885<br />

(A) wicklung von Technologien für die Nutzung nachwach- Biorohstoffen mehr nutzt als schadet. Und natürlich – da (C)<br />

sender Rohstoffe zu forcieren. Auch die Bundesregierung gehen wir mit dem Antrag der Großen Koalition mit –<br />

will einen Aktionsplan in diese Richtung vorlegen. Eu- hängt dieser massiv vom Wirkungsgrad der eingesetzten<br />

ropa soll, so die Vorstellung, Vorreiter bei der Entwick- Technologien ab.<br />

lung biobasierter Produkte werden. Hier sollen die<br />

Märkte geschaffen werden, die die Innovationen herausfordern.<br />

Diese sollen dann in naher Zukunft einmal auch<br />

Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit sichern und auf Exportmärkten<br />

Erfolge zeitigen.<br />

Die Politik muss hier die Entscheidungsinstanz sein,<br />

die die Fragen nach Öko-, Energie- und CO2-Bilanzen beantworten, soziale Folgen der verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten<br />

einrechnen und erst danach eine abgestimmte<br />

Forschungs- und Förderstrategie umsetzen<br />

Die Frage ist jedoch: Wie sieht es mit der Nachhaltig- muss. Es steht nicht nur die Antwort aus, wo und welche<br />

keit aus? Alle Prognosen deuten darauf hin, dass Bio- Biorohstoffe in welcher Höhe eingesetzt werden, sondern<br />

masse wie Holz und andere Nutzpflanzen demnächst auch, wo dies, in Abwägung der Risiken, nicht geschehen<br />

Mangelwaren werden wie bereits jetzt Erdöl oder Erdgas. soll. Wir finden es daher gut, dass die Koalition im Antrag<br />

Bereits heute werden Naturressourcen überwiegend im- einen Forschungsschwerpunkt bei der ökologischen Verportiert,<br />

etwa 100 Prozent der Baumwolle oder des hier träglichkeit setzen will, allerdings wird den sozialen Pro-<br />

verbrauchten Naturkautschuk sowie 90 Prozent der Arzblemen keine ähnliche Wichtigkeit zugemessen. Nötig<br />

neipflanzen. Die OECD schätzt, dass das Preisniveau von wäre eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Struktur-<br />

Agrargütern in den kommenden zehn Jahren nominal um wandels, der durch die Expansion der Rohstoffproduktion<br />

35 bis 60 Prozent steigen wird. Erst gestern hat es, wie in Entwicklungs- und Schwellenländer ausgelöst wurde.<br />

der Spiegel berichtet, einen Disput zwischen den sozial- Nur so kann gesichert werden, dass etwa der wissendemokratisch<br />

geführten Ministerien für Umwelt sowie für schaftliche Beirat für Umwelt oder auch das Ministerium<br />

Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit gege- für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht als<br />

ben. Minister Gabriel hat sich demnach auch mit dem „Gutmenschen“ – O-Ton Gabriel – abgewatscht werden,<br />

wissenschaftlichen Beirat für Umwelt gestritten. Der sondern auf fundierter Grundlage zur Gesamtstrategie<br />

Konflikt ist einfach dargestellt: Sowohl das Entwicklungsministerium<br />

wie auch der Beirat warnen vor den<br />

beitragen können.<br />

(B)<br />

ökologischen und sozialen Folgen einer ausgeweiteten<br />

Biomasseproduktion in Entwicklungs- und Schwellenländern.<br />

Der große Treiber dabei ist allerdings nicht die<br />

stoffliche Nutzung, die bisher wenig verbreitet ist, sondern<br />

die von Gabriel forcierte Sprit-, Wärme- und Stromproduktion<br />

auf Biobasis. Wenn nun in Ausweitung der<br />

Biomassenutzung weitere Anwendungen dazukommen,<br />

verschärft sich das Problem der Flächenkonkurrenz. Die<br />

massive Förderung von Biokraftstoffen und Biomassekraftwerken<br />

war das Gegenteil von nachhaltiger Politik.<br />

Chancen und Risiken wurden eben nicht gegeneinander<br />

abgewogen, Langzeitfolgen nicht bedacht. Das Beispiel<br />

Solarenergie zeigt, wie durchschlagend staatliche Nachfragesteuerung<br />

eine bestimmte Technologie in den Markt<br />

bringen kann. Im Unterschied zur Sonne stehen nach-<br />

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):<br />

Als Grüne begrüßen wir die längst überfällige Schaffung<br />

der notwendigen Rahmenbedingungen für die industrielle<br />

stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen.<br />

Nachdem ich keine Gelegenheit ausgelassen habe,<br />

für die Förderung und Implementierung von Bioraffinerien<br />

zu werben, ist die große Koalition nun ebenfalls<br />

langsam auf dem richtigen Weg. Die industrielle Verwendung<br />

von Biomasse soll angesichts des Klimawandels<br />

endlich ausgebaut werden. Selbst die Novelle zur Verpackungsverordnung<br />

haben wir genutzt, um unter dem<br />

Motto „Weg vom Öl“ diese Technologie zu unterstützen<br />

und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe zu schließen;<br />

Drucksache 16/3140.<br />

(D)<br />

wachsende Rohstoffe jedoch nur begrenzt zur Verfügung<br />

und fallen zudem nicht einfach an Ort und Stelle vom<br />

Himmel.<br />

Bei der Herstellung chemischer Produkte beträgt der<br />

Anteil nachwachsender Rohstoffe bisher nur 10 Prozent.<br />

Dabei könnte sogar selbst nach Aussagen von den überkritischen<br />

Regierungsberatern des PIK 10 Prozent des<br />

gesamten Weltenergiebedarfs durch nachwachsende<br />

Rohstoffe gedeckt werden. Bevor man aber Öle für die<br />

Stromgewinne produziert und das auch noch für Drittweltländer<br />

propagiert, wo die Sonne kostenlos und kräftig<br />

das ganze Jahr scheint, sollte man hier das Naheliegende<br />

auf den Weg bringen: wenigstens die 10 Prozent<br />

des Erdölverbrauchs, die in die chemische Industrie fließen,<br />

durch heimische Rohstoffe, und zwar durch nachwachsende,<br />

zu ersetzen. Die Verstetigung der Forschung<br />

und die Bündelung zu einer ressortübergreifenden Entwicklungsstrategie<br />

für nachwachsende Rohstoffe kann<br />

dabei nur ein erster Schritt sein.<br />

Es reicht also nicht, so wie die Koalition es mit diesem<br />

Antrag wieder versucht, vor allem Partikularinteressen<br />

zu bedienen und die systemischen Effekte auszublenden.<br />

Wer nachwachsende Rohstoffe umwelt- und sozialverträglich<br />

einsetzen will, muss schon die Komplexität des<br />

gesamten Produktions- und Reproduktionssystems in den<br />

Blick nehmen. Bei der stofflichen wie der energetischen<br />

Verarbeitung von Biomasse verzahnen sich ökologische,<br />

biologische, wirtschaftliche, soziale und technologische<br />

Fragestellungen. Weder die chemische Industrie, die billige<br />

und sichere Rohstoffe möchte, noch die Land- und<br />

Forstwirte, denen kein Abnahmepreis hoch genug sein<br />

kann, dürfen alleinige Ratgeber der Regierungspolitik<br />

sein. Vielmehr müssen hier ressortübergreifend und wissenschaftsgestützt<br />

Potenziale, aber eben auch Grenzen<br />

der Nutzung beschrieben und politisch umgesetzt werden.<br />

Es ist der schmale Grat zu treffen, auf dem der Einsatz von<br />

Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen<br />

hat in seinem Gutachten, der inzwischen von<br />

Gabriel selbst kritisierten, gestern erschienenen WGBU-<br />

Studie, wohl ebenfalls vor den Argumenten der Autolobby<br />

Zu Protokoll gegebene Reden

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