Katalog 2013.pdf - Visions du Réel
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170 atelier – laila pakalnina<br />
dokumentarische Elegie an einen<br />
betagten Mann und seine einfache,<br />
zeitlose und reine Lebensauffassung:<br />
einige in der Stadtbibliothek ausgeliehenen<br />
Bücher, ein Bier und eine Bushaltestelle,<br />
von der aus er die Welt um<br />
sich herum beobachtet und ruhig über<br />
die grossen und kleinen Ereignisse in<br />
seiner nächsten Umgebung sinniert.<br />
Mit dem mittellangen Dokumentarfilm<br />
Pa Rubika Celu (On Rubik’s Road, 2010,<br />
in Venedig ausgewählt), erreicht Pakalnina<br />
eine noch geschmeidigere Vereinigung<br />
von Genres und Stilelementen.<br />
Rubik’s Road ist ein Fahrradweg ausserhalb<br />
Rigas, der in den 1980er-Jahren<br />
angelegt und nach Alfred Rubik,<br />
einem ehemaligen Anführer der kommunistischen<br />
Partei Lettlands und heftigen<br />
Gegner der Unabhängigkeit 1991,<br />
benannt wurde. Rubik wurde 2009 in<br />
das Europaparlament gewählt, wo er die<br />
von ihm bekämpfte Nation vertritt. Pa<br />
Rubika Celu ist ein scharfes, liebevolles<br />
und in gewissem Mass allegorisches<br />
Porträt der modernen lettischen Gesellschaft.<br />
Die ungeschickte und chaotische<br />
Bewegung von Fussgängern,<br />
Läufern, Velos, Motorrädern, Autos,<br />
Flugzeugen, Zügen, etc., spielt sich<br />
auf dem weiterhin nach Rubik benannten<br />
Weg ab und macht den fehlenden<br />
Willen deutlich, sich wirklich mit der<br />
Vergangenheit auseinander zu setzen.<br />
Die minutiös geplanten<br />
Einstellungen lassen die<br />
Handlung wie zufällig aus dem<br />
Bild laufen und fangen<br />
in Ton und Bild Fragmente ein.<br />
Wobei die direkte politische Auslegung<br />
nur eine von vielen Möglichkeiten ist.<br />
In Pa Rubika Celu ist eine neue Ebene<br />
der Anwen<strong>du</strong>ng einiger der absurden<br />
Drama-Codes zu sehen, die normalerweise<br />
in Spielfilmen ausgeprägter<br />
zum Einsatz kommen als in Dokumentarfilmen.<br />
Eine Haltung, die auf unterschiedliche<br />
Weise in zwei jüngeren<br />
mittellangen Dokumentarfilmen eine<br />
weitere Evolution erfährt: 33 zveri Ziemassvetku<br />
vecitim (33 animals of Santa<br />
Claus, 2011) und Sniegs (Snow Crazy,<br />
2012, bei <strong>Visions</strong> <strong>du</strong> Réel ausgewählt).<br />
33 zveri Ziemassvetku vecitim ist das<br />
melancholische Porträt von Livia, einer<br />
alten Frau, die ihr Leben mit 33 Tieren<br />
aller Art teilt, die in ihrer Wohnung<br />
leben. Pakalninas Entschei<strong>du</strong>ng für<br />
Schwarzweiss schafft eine Atmosphäre,<br />
die unweigerlich die Sowjetzeit<br />
heraufbeschwört, und neben vielen<br />
anderen ihrer Arbeiten besonders die<br />
Trilogie und Kurpe in Erinnerung ruft.<br />
Das «Absurde» entsteht hier <strong>du</strong>rch die<br />
Situation selbst und <strong>du</strong>rch die Interaktionen<br />
der Tiere untereinander und mit<br />
Livia. Doch Pakalnina sieht eindeutig<br />
mehr als nur das und auch wir beginnen<br />
bald, uns Fragen über das Wesen einer<br />
so überwältigend liebevollen Haltung<br />
und Hingabe zu stellen. Sniegs handelt<br />
von der fanatischen Liebe zum Skisport<br />
in einem berglosen Land. Der formell Pa<br />
Rubika Celu und der Atmosphäre ihrer<br />
Spielfilme näher stehende Film ist eine<br />
weitere surrealistische Kritik der lettischen<br />
Gesellschaft. Doch auch hier gibt<br />
es mehr als eine Betrachtungsweise:<br />
«Es ist ein Film über Optimismus» so<br />
Pakalnina, wobei man das eigentlich<br />
von allen ihren Filmen sagen kann.<br />
Ihr jüngstes, abgeschlossenes Werk<br />
ist Picas (Pizzas, 2012 Sonderpreis der<br />
Jury auf dem Filmfestival von Rom), ein<br />
Spielfilm, der alle «Zutaten» ihres Filmschaffens<br />
in zunehmend prägnanter<br />
Form vereint. Stets mit neuen Lösungen<br />
experimentierend, dabei aber in<br />
klusums<br />
kontinuierlichem Dialog mit ihrer Erfahrung.<br />
Eine rückblickende Betrachtung<br />
der Arbeit Laila Pakalninas lässt ahnen,<br />
dass ihr etwas gelungen ist, was für Filmemacher<br />
und Menschen allgemein zu<br />
den grössten Herausforderungen des<br />
Lebens zählt: sich selbst treu zu bleiben.<br />
Paolo Moretti