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Katalog 2013.pdf - Visions du Réel

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focus liban<br />

237<br />

74<br />

zur Konfrontation mit der Vergangenheit<br />

ermutigen, um sich in der Gegenwart<br />

behaupten zu können. Fragen, die oft<br />

schwierig sind, mittels derer aber gleichzeitig<br />

das Wort erteilt und die Möglichkeit<br />

gegeben wird, Dinge in Worte zu<br />

fassen und das während des Konflikts<br />

Erlittene mitzuteilen. Ein leidenschaftliches<br />

und emotionsreiches, dem Leben<br />

zugewandtes Kino. Gleichzeitig aber<br />

auch ein oft kathartisch wirkendes Kino,<br />

das die Kamera gleich einer Sonde zur<br />

Freisetzung verdrängter Affekte einsetzt.<br />

Autoren, die teils ohne es zu wollen zu<br />

Wiederherstellern der indivi<strong>du</strong>ellen und<br />

kollektiven Identität werden und verlorene<br />

Territorien (re)konstruieren.<br />

Aufzeichnung einer Stadt<br />

Beirut, Stadt der Paradoxe – einzigartig<br />

und überschäumend, übel zugerichtet<br />

und wiederauferstanden – wird in zeitgenössischen<br />

libanesischen Filmen zu<br />

einer emblematischen und immer wiederkehrenden<br />

Figur. Die Hauptstadt<br />

des Landes übernimmt die Rolle des<br />

Katalysators der kollektiven Fragen: Die<br />

Szenen des Umherwanderns in der Stadt<br />

haben die Funktion, die Identität eines<br />

Landes und eines Volkes zu erkunden.<br />

Beirut sehen und filmen, um sich selbst<br />

und die anderen zu sehen: das städtische<br />

Gefüge und seine Ruinen als Spiegel<br />

der Realität, als Wesen, dem man<br />

den Puls nimmt und das Herz abhört.<br />

Man entdeckt ein Beirut, das einer Dame<br />

mit unzähligen Facetten gleicht: Mit den<br />

Jahren und den Ereignissen schwankt<br />

sie zwischen Eleganz und Vernachlässigung,<br />

Überschwang und Apathie, Ruhm<br />

und Dekadenz, kosmopolitischen und<br />

sektiererischen Anwandlungen. Ein Konzentrat<br />

der Paradoxe, das – so sagt man<br />

– ein Land und seine Geschichte widerspiegelt.<br />

Nicht zuletzt ist es diese Schizophrenie,<br />

die die Leidenschaften nährt,<br />

ausufern lässt und die kreative Energie<br />

stimuliert, die sich laut und deutlich in<br />

den filmischen Vorschlägen ausdrückt.<br />

Ein Kino jenseits der Grenzen<br />

Dem libanesischen Kino ist es immer<br />

gelungen, sich wieder von den Unwägbarkeiten<br />

der Geschichte des Landes<br />

zu erholen. Obgleich auf die Blütezeiten<br />

der In<strong>du</strong>strie weitaus schwierigere Jahre<br />

folgten. Und es ist ebenfalls wichtig, im<br />

jüngeren libanesischen Filmschaffen<br />

den Ausdruck einer Anthropologie der<br />

«Überlebenden» zu sehen. Das Überleben<br />

in diesem künstlerischen Kontext<br />

drückt weit mehr aus als ein Überleben<br />

des Krieges – besonders dann, wenn die<br />

systematische Dekonstruktion der sozialen<br />

Werte und der organisatorischen<br />

Strukturen in Betracht gezogen werden.<br />

Dem libanesischen Film ist es gelungen,<br />

sich in einem Klima der ständig wiederkehrenden<br />

Instabilität zu entwickeln,<br />

und er zeugt von der bemerkenswerten<br />

Lebendigkeit des Blicks der Autoren.<br />

Auf internationaler Ebene waren mit<br />

wachsender Regelmässigkeit Werke des<br />

libanesischen Dokumentarfilms zu beobachten,<br />

die von Kritik und Publikum gleichermassen<br />

begeistert aufgenommen<br />

wurden. Inzwischen kann das libanesische<br />

Kino zudem auf eine regelmässige<br />

Zusammenarbeit mit externen Strukturen<br />

zählen, hervorgegangen aus der<br />

klassischen Vereinigung künstlerischer<br />

Affinitäten mit den Bedürfnissen einer<br />

nach wirtschaftlicher und logistischer<br />

Unterstützung strebenden Filmin<strong>du</strong>strie.<br />

Aus all diesen Gründen schien es uns<br />

nur logisch, dem Libanon bei <strong>Visions</strong><br />

<strong>du</strong> Réel einen besonderen Platz einzuräumen.<br />

Ohne Zweifel teilen wir den<br />

Wunsch, sowohl besser zu sehen als<br />

auch mehr zu zeigen. Wir sind der Überzeugung,<br />

dass die vom Festival angebotene<br />

Auswahl neuerer Filme ebenso<br />

wie die Präsenz mehrerer libanesischer<br />

Autoren und Pro<strong>du</strong>zenten die Gelegenheit<br />

zu einem anregenden Austausch<br />

sowie Wegbereiter neuer internationaler<br />

Partnerschaften sein werden. Womit<br />

einmal mehr der Beweis erbracht wird,<br />

dass Grenzen vor allem dazu da sind,<br />

überwunden zu werden.<br />

Jasmin Basic

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