eine Reise gegen die Zeit

verdrehen. Krankenwagen und Krankenschwestern stehen aufmerksam
am Rand, Versorgungsstationen mit Wasser und Früchten
stehen entlang des Pilgerweges. Fotografen fräsen ihre Linsen
in die Gesichter der Leidenden, um einen finsteren oder erlösten
Blick einzufangen. Einer schafft sich Raum, indem er mit einer
Peitsche schnalzt und gelegentlich die zu nahe getretene Umwelt
an seiner Geisselung teilhaben lässt.
Ab dem Tempeltor sind es noch rund 1000 m, ehe die 35 m
hohe Statue des Gottes das Opfer erstmals wahrnimmt, aber dann
warten immer noch 272 Stufen auf die Pilger, die hinaufführen
in die Höhlen, die das Heiligtum beherbergen - etwas Ähnliches
habe ich in der Goa Lawa Höhle auf Bali erlebt, nur dass dort Fledermäuse
die heilige Stätte bewohnen und verehrt werden.
Nun endlich, am Fuss der Treppe, lösen sich die Pilger und ihre
Begleiter von dem schaulustigen Fussvolk. Da sind die allein, die
bei einem Unfall beide Beine verloren haben – und den Aufstieg
auf sich nehmen. Sie werden überholt von den Derwischen, die
tanzend mit Feuer und Rauch die Treppe spielend überwinden, als
ob eine ewige Kraft sie antreibt. In dem Gedränge, der Feuchtigkeit
aus verspritztem Wasser, das den Pilgern Kühlung bringt inmitten
der tropischen Hitze von 35 ° C, dem Schweiss, dem Rauch
und Feuer, das mit Kokosnussschalen unterhalten wird, spürst du
nicht die Zeit, nicht den Brand der Sonne, die unbeeindruckt und
unerbittlich das Geschehen begleitet.
Der Sonnenbrand zeigt sich an Kopf – trotz Kappe - und Armen
erst am nächsten Tag. Ich habe einen Platz auf dem Sockel
eines Lampenmastes gefunden, der mir 20 cm Höhe und ausreichende
Nähe zu den Pilgern und ihrem Tross auf beiden Bahnen
gab – die dritte Bahn dient dem Abstieg aus der Höhle. Die Kavadis
werden von Helfern übernommen, die Speere und Haken aus
der Haut blutlos gelöst, ermattet, erschöpft macht sich erst jetzt in
den Gesichtern der Pilger der hohe Kraft- und Energieverbrauch
bemerkbar, leer, nach innen gekehrt der Blick, das Glück des erreichten
Ziels, die Sühne und Busse, der Dank und die Ehrerbietung,
das alles sammelt sich in den Tagen – ehe am Sonntag die
15