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Mutig schwinge ich mich wieder auf den Sattel, den ich etwas<br />
niedriger gesetzt habe, damit ich den Boden bei Unsicherheiten<br />
schneller erreiche. Aber <strong>die</strong> Unsicherheit ist da – <strong>die</strong> Hecken und<br />
Gräben kommen mir näher als zuvor, es dauert auch nicht lange,<br />
als <strong>eine</strong> weit in den Weg gewachsene Hecke mich weich auffängt.<br />
Hätte ich gewusst, dass in der Hecke auch Hartdorngewächse<br />
sind, hätte ich mir vielleicht <strong>eine</strong>n anderen Ruheplatz ausgesucht,<br />
so kamen zu den Lehmspuren noch ein paar kratzige Blutspuren,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> „Liebesgrüsse aus der Dornenhecke“ übermittelten.<br />
Mein Schweisstuch färbt sich braun-rot, hat kein trockenes<br />
Ende mehr. Der Damm endet. Das war‘s wohl für heute – aber den<br />
ganzen Weg zurück? Der Bock flüchtet immer nach vorn. Also –<br />
nicht nach rechts, da geht‘s zum Fluss, nach links, quer durch <strong>die</strong><br />
Kürbisfelder, <strong>eine</strong> Hütte taucht auf – und ein Hund bellt. Also ist<br />
da jemand zu Hause und hat <strong>eine</strong>n Weg – alte Pfadfinderweisheit.<br />
Ich folge dem Zuweg – und lande auf dem Radweg, den ich von<br />
Anfang an hätte nehmen sollen, wenn ich <strong>die</strong> richtige Abbiegung<br />
gefunden hätte. Die Kratzwunden trocknen im Fahrtwind, leicht<br />
und gut fühle ich mich. Ab jetzt nimmt das Fragen nach dem rechten<br />
Weg zu, <strong>die</strong> Antworten sind zwar deutungsbedürftig, aber<br />
schliesslich orientiere ich mich nur noch an den Radspuren, das<br />
hilft – das Wasser ist zu Ende, <strong>Zeit</strong> für <strong>eine</strong>n Stopp im nächsten<br />
Dorf, wo sich <strong>die</strong> verbliebenen Bewohner zunächst mit m<strong>eine</strong>n<br />
Wunden beschäftigen. Im Geschäft, Entschuldigung, umgebauten<br />
Schuppen mit Ladentheke, finde ich <strong>eine</strong>n Wasserhahn, wasche<br />
<strong>die</strong> Wunden lehmfrei, das muss so halten, <strong>die</strong> Kratzer sind nicht<br />
tief. Als ich dann noch 1,5 l Wasser in mich stürzen lasse, habe ich<br />
sämtliche Kinder des Dorfes als Bewunderer. Ich nehme <strong>die</strong> Erholung<br />
gerne an, richte m<strong>eine</strong>n Sattel wieder auf Normalmass aus –<br />
<strong>die</strong> letzten 5 km von Jiuxian nach YangShuo sind ein Kinderspiel.<br />
Erschöpfung stellt sich erst ein, als ich mein Fahrrad abgebe, es ist<br />
1430 – <strong>Zeit</strong> für Mittagsruhe, <strong>die</strong> habe ich mir ver<strong>die</strong>nt.<br />
1700 Uhr ruft mich <strong>die</strong> Stadt, ein Spaziergang durch den Stadtpark,<br />
wo <strong>die</strong> Jungen Billard spielen, <strong>die</strong> Kl<strong>eine</strong>n Karusell fahren<br />
und <strong>die</strong> Alten auf den Gymnastikgeräten ihren Kreislauf regeln.<br />
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