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Geräusche, Gesten, Gerüche<br />
D i e n s t a g, 31.08.2010<br />
Dies ist <strong>die</strong> Geschichte von Geräuschen, Gesten und Gerüchen<br />
– der Desinfizierungsgeruch der alten DDR liegt im einigermassen<br />
gereinigten Waggon 10, der im Kopfbahnhof von Saigon auf mich<br />
wartet. Wie der in freundliches Blau gekleidete Waggonschaffner,<br />
der <strong>eine</strong>n flüchtigen Blick auf m<strong>eine</strong> Fahrkarte 895.000 D wirft.<br />
Ich beziehe Bett 13 in <strong>eine</strong>m Viererabteil. Bezogen ist <strong>die</strong> Liege<br />
schon, auf und unter der ich mein Gepäck verstaue. Ein kalter<br />
Zug der Kühlmaschine trifft auf m<strong>eine</strong>n Rücken, ich wechsele <strong>die</strong><br />
Richtung. Dann nehme ich m<strong>eine</strong> B<strong>eine</strong> hoch, denn es ist Grossbesuch<br />
angesagt. Fünf Leute begleiten zwei <strong>Reise</strong>nde, <strong>die</strong> den Rest<br />
des Abteils mit ihren Plastiksäcken belegen, aus denen verführerische<br />
Düfte von Obst und Gemüse strömen. So muss es in Hué am<br />
„Fluss der Wohlgerüche“ - profan: Parfümfluss – riechen.<br />
Laute gleiten, nein schreiten durch <strong>die</strong> kl<strong>eine</strong> Welt des Abteils,<br />
<strong>die</strong> an <strong>die</strong> schrillen Töne des Nashornvogels im Taman Negara erinnern.<br />
Ein Gezeter setzt ein, in dem <strong>die</strong> richtige Lage und Liege<br />
der beiden Passagiere erörtert wird, <strong>die</strong> sich behend und bar füssig<br />
in das Oberabteil schwingen, was <strong>eine</strong> weitere Geruchskomponente<br />
beisteuert. Kurz vor Abfahrt klopft noch <strong>eine</strong> schwangere<br />
Frau im Schlafanzug das Abteil an, das sich nun zurecht geschüttelt<br />
hat. In <strong>die</strong> Dunkelheit setzt der Stationsleiter s<strong>eine</strong>n Pfeifton<br />
– das sprachliche Gemetzel auf dem Gang hat s<strong>eine</strong>n Höhepunkt<br />
noch nicht erreicht. Ich bin verstummt – in Worten: stumm. Die<br />
Frau atmet schwer, sie zieht im 30-Sekundenrytmus den Nasenschleim<br />
hoch, was <strong>die</strong> Geräuschkulisse nachhaltig belebt. Nun<br />
entdeckt mein Obermieter, dass er ja auch husten kann, also hustet<br />
er.<br />
Die Tür schlägt zu, als der Zug <strong>die</strong> Weiche hart wechselt. Im<br />
Schloss schlägt <strong>die</strong> Türe im Takt der Schienen an. Im Nachbarabteil<br />
schreit ein Baby sich <strong>die</strong> Kehle wund. Ein Servicewagen<br />
schiebt sich mit Ausruf s<strong>eine</strong>r Angebote durch Gang und Leute,<br />
mein Obermieter hört auf zu husten, steigt herab – und kriegt <strong>die</strong><br />
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