Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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264 Besprechungen<br />
Entwicklung und innere Differenzierung der Wissenschaftssoziologie geben; statt<br />
dessen ignoriert - von aggressiven Polemiken abgesehen - Bühl die marxistische<br />
. Wissenschaftstheorie und -soziologie völlig. Vergleichbares gilt für die Bemühungen<br />
in der westdeutschen, nicht-marxistischen Wissenschaftssoziologie, die<br />
Kuhn'schen Ansätze weiterzuentwickeln.<br />
Der Verfasser geht aus von vier "idealtypisch reinen Formen des Wissens",<br />
wobei er auf Scheler rekurriert: Leistungs- und Arbeitswissen, Herrschaftswissen,<br />
Bildungswissen, Heils- und Erlösungswissen, von denen ausgehend er seine<br />
Modelle konstruiert (21 ff.). Obwohl er "Wissenserwerb" als "eine von verschiedenen<br />
menschlichen Aktivitäten" (50) bezeichnet, ist sein Ausgangspunkt das<br />
systematisch geordnete Wissen; die wissenschaftliche Tätigkeit spielt keine Rolle,<br />
jeder Ansatz, der Wissenschaft in den Zusammenhang von Naturaneignung<br />
und gesellschaftliche Arbeit hineinstellt, ist ihm fremd. Dem "Wissen", ordnet<br />
er zu "Aktbezogenheit", "Prozessualität", "Sozietät"; im Hintergrund steht dabei<br />
eine agnostizistische Position: Erkenntnis stellt sich dar als Aussagensystem<br />
relativer Gültigkeit, das sich durch die Aneinanderreihung wissenschaftlicher<br />
Akte, bestehend aus der Konfrontation des Wissenschaftlers mit den "wissenschaftlichen<br />
Gegenständen" und der sozialen Interaktion der Wissenschaftler<br />
immer weiter entwickelt und somit stets offen ist für den neuesten Erkenntnisstand<br />
und die jeweiligen gesellschaftlichen Erfordernisse. Die Sozietät des Wissens<br />
erkläre sich daraus, daß "in jedem Akt des Wissenserwerbs" eine "soziale<br />
Generalisierung" (52) impliziert sei. Das bedeutet nach Bühl, daß wissenschaftliche<br />
Aussagen nicht deswegen allgemeingültigen Charakter tragen, weil ihnen<br />
eine adäquate Erkenntnis des Objekts zugrundeliegt, sondern weil die Wissenschaftsgemeinschaft<br />
einen entsprechenden Konsens getroffen hat. Eine so<br />
durchaus traditionelle subjektivistische Konzeption mündet in ein sehr Simples<br />
Gesellschaftsmodell ein und rückt notwendigerweise diese Wissenschaftsgemeinschaft<br />
in den Mittelpunkt: dort wird Gesellschaft konstituiert, da ist der eigentliche<br />
Gegenstand der Wissenschaftssoziologie. Liefert in der subjektivistischen<br />
Konzeption die scientific community dem Wissenschaftler Gewißheit auf<br />
Raten, so ist der "Rekurs auf ein Absolutcs", das "letztlich nur religiös" (301)<br />
sein kann, das Vehikel absoluter Gewißheit: Agnostizismus versus Metaphysik<br />
also.<br />
Aus der Konzentration auf die "scientific community" ergibt sich die gebräuchliche<br />
Unterscheidung zwischen einem "inneren" und einem "äußeren"<br />
System der Wissenschaft, hinter der sich kaum verhohlen die Absicht verbirgt,<br />
Wissenschaft und Gesellschaft einander gegenüberzustellen und anschließend<br />
ihr Verhältnis zueinander zu erörtern. Welche Höhen die soziologische Analyse<br />
hier erreicht, zeigen die Ausführungen auf S. 28-32: das Verhältnis von Wissenschaft<br />
und Gesellschaft ist "problematisch", "mehrschichtig", "multidimensional"<br />
, "komplex", "ambivalent", "mehrdeutig", es sei ein "durchaus variables",<br />
ja sogar "vielfach vermitteltes Interaktionsverhältnis" , kurz: es wäre "Soziologismus",<br />
erläutert der Autor, "die Wissenschaft tatsächlich nur als eine Funktion<br />
der Gesellschaft zu definieren, ihr keinerlei Eigenwert zuzugestehen, also nur die<br />
Formel W = f (G) gelten zu lassen. Selbstverständlich gilt auch das Umgekehrte,<br />
nämlich G = f (W)" (27). Hat Bühl so die Plattheit seines Gesellschaftsverständnisses<br />
in eine kurze Formel gebracht, ist der Weg frei für das Einbringen einer<br />
Menge bekannter soziologischer <strong>Theorie</strong>n und Konzeptionen in das Gebiet der<br />
Wissenschaftssoziologie: konvergenztheoretische Ansätze (17), Industriegesellschaftstheorie<br />
(42 f.) und Totalitarismustheorie (45) sowie, übergreifend, die The-<br />
DAS ARGUMENT 10211977 ©