Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Italienischer Weg zum <strong>Sozialismus</strong> 215<br />
sich Engels berufen, als er "mit dem größten Mißtrauen" seine "persönliche<br />
Meinung" über die italienischen Angelegenheiten äußerte. Er wies darauf hin,<br />
daß ihre konkrete Anwendung "an Ort und Stelle und von denen, die sich mitten<br />
in den Ereignissen befinden", entschieden werden müsse. In einem Brief<br />
vom 26. Januar 1894 an Filippo Turati, der damals an der Spitze der jungen Sozialistischen<br />
Partei stand, versuchte Engels, das Kampffeld des Proletariats in<br />
Italien zu beschreiben:<br />
"Die Bourgeoisie, die während der nationalen Emanzipation und danach an die<br />
Macht kam, konnte und wollte ihren Sieg nicht vollenden. Sie hat weder die Reste<br />
der Feudalität vernichtet. noch die nationale Produktion nach modernem bourgeoisen<br />
Muster reorganisiert. (. .. ) Das arbeitende Volk - Bauern, Handwerker, Landund<br />
Industriearbeiter - steht somit unter schwerem Druck, einerseits Infolge überalterter<br />
Mißstände, Hinterlassenschaften nicht nur der Feudalzeit, sondern sogar<br />
der Antike (mezzadria [ = Halbpacht, 1; die Latifundien des Südens, wo das Vieh<br />
den Menschen verdrängt), andrerseits infolge des raffgierigsten Steuersystems, das<br />
jemals ein Bourgeoissystem erdacht hat. Hier kann man mit Marx sagen: Uns<br />
.quält. .. , gleich dem ganzen übrigen kontinentalen Westeuropa, nicht nur die Entwicklung<br />
der kapitalistischen Produktion, sondern auch der Mangel ihrer Entwicklung<br />
(. .. )' "'.<br />
Wie muß sich in dieser gegebenen Situation die revolutionäre Partei verhalten?<br />
Engels antwortet darauf, indem er sich unmittelbar auf das "Kommunistische<br />
Manifest" beruft:<br />
"Die Sozialisten vertreten ,in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der<br />
Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung<br />
... Sie kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden<br />
Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen<br />
Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung.' - Sie nehmen mithin aktiven Anteil<br />
an allen EntWicklungsphasen des Kampfes der bei den Klassen, ohne dabei jemals<br />
aus dem Auge zu verlieren, daß diese Phasen nur ebenso viele Etappen sind,<br />
die zu dem höchsten großen Ziele führen: der Eroberung der politischen Macht<br />
durch das Proletariat als Mittel zur gesellschaftlichen Umgestaltung.",a<br />
Die Methode des Handeins bedeutete ein aktives Eingreifen der Arbeiterbewegung,<br />
um politische oder soziale Fortschritte zu erreichen, "aber nur als Anzahlung",<br />
und - so fügte Engels hinzu - um sich "eine günstigere Umgebung (zu<br />
schaffen). Wir würden also den schwersten Fehler begehen, wenn wir uns nicht<br />
beteiligen wollten, wenJ;l. wir uns in unserer Auseinandersetzung mit den ,nahestehenden'<br />
Parteien auf die rein negative Kritik beschränken wollten". Es wäre<br />
notwendig gewesen, daraus eine Linie spezifischer, nicht schematischer Aktion<br />
abzuleiten, die durch sorgfältige wissenschaftliche Analysen dialektisch bereichert<br />
ist, wie durch die Leninsche konkrete Analyse der konkreten Situation<br />
vorgeführt. Die Sozialistische Partei blieb jedoch in ihrer Impotenz stecken.<br />
Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte der IKP zu rekapitulieren, mit ihren<br />
SchWierigkeiten, ihren Fehlern und dem Reifen, der Vertiefung und der Bereicherung<br />
eines komplexen und originalen politischen Denkens. Es soll hier genügen,<br />
die klare Zusammenfassung durch Togliatti Wiederzugeben:<br />
"Die führende Funktion der Arbeiterklasse in der nationalen Gesellschaft und<br />
ihre Machtübernahme stellten sich nicht mehr in den Begriffen der anarchistischen<br />
Revolte oder des machtlosen maximalistischen Protestes, sondern als Problem eines<br />
DAS ARGUMENT 102/1977 ©